Montag, 17. November 2008
17. November - Gregor
Gregor war ein wahres Glückskind. Er tat immer nur das, was er wollte, und niemals das, was er musste. Am frühen Morgen schrillte sein Wecker. Kurz nach fünf. Da sprang Gregor aus dem Bett und dankte dem Wecker für seine zuverlässigen Dienste.

Oh wie schön, in der Küche brodelte bereits die Kaffeemaschine. Die hatte Gregor mit einer Zeitschaltuhr versehen. So stieg ihm der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee in die Nase, wenn er sich auf den Weg ins Bad machte.

Dort angekommen strahlte er sich selbst im Spiegel an. "Guten Morgen", rief er und dann rasierte er sich. Nach einer kurzen heißkalten Dusche rieb er sich trocken, zog sich an und ließ sich in der Küche sein Frühstück schmecken. Danach nahm er seine Mappe, schlüpfte in seine Jacke und verließ die Wohnung.

Frau Meier von gegenüber ging gerade mit ihrem Hund Max Gassi. Sie schaute verdrießlich, grüßte Gregor aber als er ihr fröhlich einen schönen Tag wünschte. Später an der Arbeit addierte Gregor lange Zahlenkolonnen, füllte Formulare aus und erstellte einige Gutachten. Seine Kollegen stöhnten und meckerten. Das Wochenende war noch so fern, die Arbeit so langweilig, das Wetter zu heiß oder zu kalt, zu trocken oder zu nass. Der Ehepartner war blöd, die Kinder dumm und sie selbst in einer schrecklichen sie niemals loslassenden Tretmühle gefangen.

"Och", sagte Gregor da, "mir macht die Arbeit Spaß." Da schauten ihn alle komisch an, verdrehten die Augen. Der Priepke zeigte ihm hinter seinen Rücken einen Vogel. "Warum sollte ich sie sonst machen?", fragte Gregor entrüstet. November

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16. November - Das Leben
Das Leben ist kein Ponyhof und auch kein Vergnügungsdampfer. Nein, nein, es ist hart aber ungerecht. Das Leben ist Mühsal, ein Tal der Tränen. Leben ist Leiden. Wem nützt eigentlich diese Propaganda?

Gut, Religionen oder Philosophien brauchen natürlich solche Beschreibungen des Lebens. Schließlich bringen ja gerade diese Aspekte des Lebens - die Mühsal, das Leiden - Menschen dazu bei Ihnen nach Trost, nach Sinn, nach Hilfe zu fragen. Aber ist deshalb Leben gleich Leiden?

Warum eigentlich nicht: Leben ist Freude? Die mannigfachen Arten der Freude. Die Freude seine Mutter zu lieben. Die Freude gehalten und genährt zu werden. Die Freude an der Beständigkeit und Verlässlichkeit der kosmischen Kräfte. Die Freude an den Abenteuern des Lebens. Die Freude an der Lust. Die Freude am Aufhören. Die Freude zu denken, zu gehen, zu tanzen, zu lernen, zu beten, zu sprechen, zu singen, zu lieben, zu wirken. Die Freude selbst zu leben und Lebendiges um sich herum zu erleben. Die Freude am Erschaffen. Die Freude sogar am Zerstören.

Kann ich nicht lernen, Leiden als einen Aspekt des Lebens zu sehen, wenn ich sage: Leben ist Freude. Leben ist Strömen. Leben ist Werden und Vergehen. Leben ist steter Wandel. Die wahre Natur des Menschen ist schillernd, wie der Flügel eines Skarabäus im zarten Morgenlicht. November

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15. November - Gänse
Aufgeregte Schreie dringen durch das gekippte Fenster. Zuerst traue ich meinen Ohren kaum. Doch dann kommen sie immer näher die lauten Rufe der Gänse.

Hoch oben am Himmel ziehen sie in keilförmigen Formationen dahin. Ans Meer. Tränen laufen mir die Wangen hinab, während ich auf dem Balkon stehe und den Gänsen hinterher schaue. Eine Runde drehen sie jetzt. Vielleicht warten sie noch auf ein paar Nachzügler oder überlegen, ob es einen Landplatz gibt. Aber hier in der Nähe gibt es keinen See, noch nicht einmal einen Teich, der ihnen gefallen könnte. Also ziehen sie weiter. Ein großes V, ein kleines V und rufen unablässig.

Wenn ich sie nur verstehen könnte. Wenn ich nur wüsste, was sie rufen. Manchmal kommt es mir so vor, als müsste ich nur noch ein klein bisschen genauer zuhören. Dabei die Worte vergessen, all das, was ich zu wissen glaube, beiseite lassen und plötzlich könnte ich Gänsisch und Spinnisch und vielleicht sogar Bäumisch.

Dabei fällt es mir schon schwer genug meinen Kater zu verstehen. Und er macht es mir leicht und redet überdeutlich mit mir wie mit einer Schwachsinnigen. Katzen sind ja berühmt für ihre Geduld und Toleranz. November

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14. November - Wertesalat
Guten Tag, ich bin Ihre Servicekraft für den heutigen Abend. Herzlich willkommen in unserem Etablisement. Als Tagesgericht empfehle ich Ihnen Sein mit einer Prise Bewusstsein an Wertesalat mit einer Vinaigrette aus Selbstgerechtigkeit und Stolz.

Danach eine naturbelassene, gute Tat. Sie werden sich unerhört besser fühlen. Es tut so gut, den Müll zu trennen und gegen Atomkraftwerke, Flughafenausbau und die Unterdrückung der Frau in der islamischen Welt aufzustehen.

Es ist noch viel wunderbarer jeden Tag online zu bestellen, auch zum Dosenöffnen und Krawattebinden noch einen elektrischen Helfer zu besitzen, mindestens einmal im Jahr in Urlaub zu fliegen und den Frauen im Betrieb satte 20 % weniger zu bezahlen als den männlichen Kollegen und sich trotzdem unerhört besser zu fühlen.

Eine kleine, gute Tat zum Dessert reicht aus. Ach was, ein guter Gedanke. Und den müssen Sie noch nicht einmal selbst denken. Das erledigen wir gerne für Sie. Und jetzt genießen Sie Ihren Aufenthalt. Als Vorspeise servieren wir Ihnen die sieben Todsünden Ihrer Nachbarn und Konkurrenten, damit Sie was zu lachen haben. November

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13. November - Ein Hoch auf die Krise
Nur nicht Bange machen lassen. Eine Krise ist nämlich etwas richtig Gutes: Der Moment der Entscheidung, der Wendepunkt, das Anzeichen für eine Veränderung.

Gut auch eine Veränderung zum Schlechteren kann dabei herauskommen. Aber in letzter Zeit war das doch eher so: Der arg strapazierte "kleine" Mann guckte dumm aus der Wäsche, hatte keine Kohle, mühte sich ab, trug die Last aller Lasten während es sich irgendwelche Management-Fuzzis und Investment-Piraten auf seine Kosten gut gehen ließen. Und jetzt geht es zumindest ein paar von denen auch mal schlecht. Vielleicht müssen einige sogar ihren Zweitwohnsitz veräußern - aber ist ja ungünstig derzeit, der Wertverlust lawinenartig - oder mal richtig arbeiten für ihr Geld und nicht nur zocken, abziehen, abkassieren.

Also für den ein oder anderen wäre doch jetzt ein richtig guter Moment mal in sich zu gehen und sich zu fragen, was mache ich überhaupt hier und wozu soll das gut sein. Okay. Es ist vielleicht naiv an die Kraft von Selbsterkenntnis zu glauben. Aber ich stehe darauf. Im ersten Moment tut es oft weh, tief in den eigenen Untergrund zu blicken. Trotzdem glaube ich daran, dass das bei jedem Menschen heilsam wirkt. November

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