Dienstag, 30. September 2008
30. September - 7schläfer
Es war 1mal 1 7schläfer, der lebte in 1 kl1en Waldstück bei 9kirchen. Jedes Jahr im Mai wurde auf der Wiese direkt daneben 1 großes Volksfest abgehalten.

Da war es furchbar laut. Vor allem das Kreischen der Leute, wenn sie auf der 8terbahn fast senkrecht nach unten stürzten, störte den 7schläfer. Außerdem rannten viele Kinder durch den Wald und sammelten Schnecken, Raupen oder Käfer, die sie in 1machgläser stopften. Am liebsten hätte der 7schläfer diese Lauser ge4teilt, aber was konnte er schon ausrichten. Er war doch nur ein kl1er 7schläfer. Sogar die 11fen, die in den großen Wacholderbüschen am Waldrand lebten waren völlig hilflos. Sie überlegten, ob sie sich nicht vielleicht für die Zeit des Volksfestes irgendwo eine 2raumwohnung mieten könnten. Aber da sie k1e Aufenthaltsgenehmigung besassen, war daran nicht zu denken.

So litten der 7schläfer und die 11fen stumm ganze 5 Tage lang. Sie ertrugen, dass sich ihre 10nägel bei jedem Kreischen nach oben bogen. Am 6. Tag hielten sie es nicht mehr aus und suchten Schutz in der kl1nen Kapelle unter der heiligen 3faltigkeit. Aber anstatt hier endlich Ruhe zu finden, wurden sie von 6gierigen Jugendlichen gestört, die zwar weniger kreischten dafür mehr stöhnten, aber insgesamt 1 unerträgliche Belästigung für die Ohren und die Moralvorstellungen von 7schläfer und 11fen darstellten. Am 7ten Tag kehrte endlich Ruhe 1. Bis zum nächsten Jahr. September

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Montag, 29. September 2008
29. September - Mir gäbet nix
Auf der Terrasse ist es kalt und nicht mehr viel los. Aber zwei Bekannte von Kerstin haben sich trotzdem dort ihr Abendessen servieren lassen. Kerstin und ich sagen "Hallo".

Während Kerstin sich nach einem Zeitungsartikel über das Schülertheater-Festival erkundigt, wann der wohl online stehe, als PDF vielleicht, schaue ich in eine andere Richtung. Das Gespräch interessiert mich nicht besonders. Vor den Ferien habe sie nicht damit zu rechnen, erhält sie Bescheid. Aber eine gute Idee, da wäre wohl noch keiner drauf gekommen. Das mache dann der Peter oder der Franz.

Die Gittertür rechts von uns wird von einem jungen Mann mit einem Tarnrucksack über der Schulter aufgehakt. Vorsichtig betritt er die Terrasse. Seine Kleidung sieht ziemlich abgerissen aus. Im Gesicht hat er ein paar Piercings, seine Haare stehen zottelig vom Kopf ab. Durch die Hintertür betritt er das Lokal. Ich verliere ihn aus den Augen. Die Unterhaltung dreht sich inzwischen um ein abgesagtes Stück. Der Hauptdarsteller ist wegen Krankheit ausgefallen. Aber Kerstin muss es bis zum Sommer auf die Bühne bringen oder neue Lizenzkosten an den Verlag bezahlen. Plötzlich steht der junge Mann mit dem Tarnrucksack neben mir.

„Habt Ihr vielleicht ein paar Cent für einen Obdachlosen?“, fragt er in die Runde. Stille senkt sich über uns. Eine feindselige Schwingung fühle ich. Eine schwäbische Schwingung, die mir sagt: "Mir gäbet nix."

Aber ich mag nicht dazugehören zu denen, die nichts geben. Warum soll ich dem Mann, dem Obdachlosen, der ein bisschen punkig, ein wenig ungewaschen aussieht und das Geld vielleicht versäuft oder für andere Drogen ausgibt oder am Ende mit Betteln mehr Geld verdient als ich mit meiner anständigen Arbeit, warum soll ich dem nicht ein paar Cent geben? Ein bisschen Kleingeld herzugeben tut mir doch nicht weh. Habe ich das Recht über seine Lebensführung zu richten? Nein, natürlich nicht. Also zücke ich mein Portemonnaie. Viel ist nicht mehr drin, aber im Kleingeldfach finde ich noch etwas.

Irgendwer muss doch dafür sorgen, dass nicht nur die Spatzen sondern auch die Menschen ernährt werden, auch ohne dass sie in den Scheunen sammeln. Oder habe ich das irgendwie falsch verstanden? Im Gegensatz zu Kerstin und ihren Bekannten gehöre ich keiner Kirche an und kenne mich nicht so gut mit den christlichen Gepflogenheiten aus. September

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Sonntag, 28. September 2008
28. September - Der Laden
Er dreht den Schlüssel herum, nachdem er ein letztes Mal das Licht gelöscht hat. Die Regale sind ausgeräumt. Stille senkt sich über den Raum. Die Verkaufstresen ragen wie Mahnmale aus verschlissenem Boden. Dessen Muster kann er seit Jahren nicht erkennen. Er weiß selbst nicht, haben seine Augen ihre Kraft verloren oder sind die Farben einfach nur verblasst, wie nach und nach seine Waren verblasst sind. Die karierten Herrenhüte, die Damenhüte aus Filz und Strick, die edlen Nerzkappen und Zobelmützen. Vor langer Zeit hat ihn der Laden verschluckt.

Da meinte er es noch gut mit ihm. Damals schimmerte die Zukunft rosig. Das schwere, dunkle Eichenfurnier der Einrichtung und die farblich abgestimmte Wandvertäfelung waren der letzte Schrei. Der gewebte Teppich prangte in Gold und Rubin auf tiefem Grund. Seine Frau stand an seiner Seite. Besitzerstolz erfüllte ihn. Endlich ging es aufwärts. Die Kriegsjahre, die Hungerjahre waren vorbei. Die Lehrjahre, die Gesellenjahre hatten sich ausgezahlt. Jetzt brauchten die Leute stolze Hüte, die ihnen sagten: „Du bist wieder wer“. Sie dürsteten nach Pelzkappen, die ihnen zuraunten: „Du wirst niemals wieder frieren“, und nach mondänen Strohhüten – groß wie Wagenräder, die ihnen einredeten: „Du bist tausendmal schöner als deine Nachbarin.“ Der Laden gab sie ihnen. Die Leute strömten hinein und kauften. Verkäuferinnen wurden eingestellt. Kleine, fleißige Frauen, adrett in helle Kittel gekleidet. Sie bedienten die Kunden, kletterten flink die Trittleitern hinauf und hinab, schmeichelten und lobten die Hüte auf die Köpfe der Menschen. Bald schon fuhr er mit seiner Frau auf Messen nach Italien und Skandinavien. Wie leicht und schön das Leben plötzlich erschien.

Hell und freundlich strahlte der Laden. Er ernährte ihn, hielt ihn auf Trab. Irgendwann kauften die Leute weniger Hüte. Aber sie kamen immer noch zu ihm. Schließlich war er doch der vom Hutladen, der beim Weinfest die Girlanden bezahlte, den alle kannten – meist aus der Schulzeit noch. Doch immer öfter sah er die alten Bekannten mit Kopfbedeckungen aus dem Kaufhaus. Da rückten seine Frau und er näher zusammen. Die fleißigen Verkäuferinnen verließen den Laden und kehrten nicht wieder. Seine Frau und er bedienten nun selbst. Wozu musste er noch auf Messen fahren? Die Vertreter kamen ins Haus und für alles andere gab es Kataloge. Unversehens gingen all seine Schulkameraden in Rente. Für ihn war das nichts. Wo hätten seine treuen Kunden einkaufen sollen. Sie brauchten ihn doch. Der Laden brauchte ihn.
Täglich blätterte der Lack ein bisschen mehr ab und doch schien die Zeit still zu stehen. Nach und nach, fast unmerklich, blieben auch die Stammkunden einer nach dem anderen fort. Sie waren alt, grau und gebückt. Niedergedrückt vom Leben so wie er gekrümmt war. Dabei hatten seine Frau und er oft davon gesprochen endlich aufzuhören, endlich in den verdienten Ruhestand zu treten. Aber der Laden, immer noch mächtig in seinem verblichenen Glanz, ließ ihn nicht los. Durch einen kleinen Spalt zwischen den Vorhängen erlaubte er ihm durch die ermatteten Schaufenster nach draußen zu sehen. Nur dieser kleine Schimmer erinnerte ihn noch an die Träume und Pläne, die er niemals mehr leben würde.

Eines Tages wachte seine Frau nicht mehr auf. Da kroch seine Trauer überallhin, zwischen die Vorhangfalten, in die Ritzen der Täfelung. Sie lauerte hinter den dunklen Tresen, versteckte sich unter den Hüten und Kappen. Der Laden blieb sein einziger Freund. Es dauerte Jahre. Jahre, die nur selten vom Läuten der Türglocke unterbrochen wurden. Jahre, die er damit verbrachte schwer auf seinen Stock gestützt die Waren zu sortieren. Die hohen Regalbretter erreichte er längst nicht mehr. Erst dann entschloss der Laden sich ihn auszuspucken. Er hatte keine Kraft mehr zur Gegenwehr. Nur seine Trauer lastete noch schwerer auf den Regalbrettern. Er hing Plakate ins Schaufenster: „50 % wegen Aufgabe“. Selbst das führte kaum Kunden in den Laden. Wenn sich jemand hineintraute, so blickte er in junge, unbekannte Gesichter, die sich ratlos umsahen. Die meisten flohen ohne etwas zu kaufen. Am Ende warf er alles fort. Wer sah den Hüten und Kappen schon an, dass er ihnen sein ganzes Leben geopfert hatte? Jetzt dreht er den Schlüssel herum nach einem letzten Blick in seine Welt, seine Heimat, seine Bestimmung. Ein letztes Mal überwindet er die drei Stufen zur Straße.

Geschrumpft, gebeugt und schwankend auf seinen Stock gestützt, sieht er sich im Schaufenster und erkennt sich nicht wieder. Er wendet sich ab und geht mit zittrigen Schritten davon. Nur seine Trauer springt leichtfüßig von den Regalen, quillt aus den Türritzen, perlt durchs Schlüsselloch und zieht ihm wie eine lange Schleppe nach. Der Laden liegt still und wartet. September

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Samstag, 27. September 2008
27. September - Lass die Arbeit ruhen
In dem Roman "Hallo lieber Gott, hier spricht Anna" war es glaube ich, dass die Hauptfigur, die kleine Anna sagte, die tollste Erfindung von Gott sei der Ruhetag.

Und irgendwie ist was dran - auch für die Agnostiker unter uns ist das Ausruhen eines der schönsten Errungenschaften der Menschheit. Ich frage mich nur, warum haben wir das überhaupt verlernt, vorher?

Vom Ahorn bis zur Zichorie, vom Affen bis zur Zecke wissen alle Lebewesen wie wichtig Ruhe und Entspannung ist. Aber wir dusseligen Menschen haben das irgendwann vergessen. Und so gibt es heute so merkwürdige Krankheiten wie Burn-out-Syndrom. Dabei müssen wir nur einmal in aller Ruhe draußen spazieren gehen, den Pflanzen und den Tieren zuschauen. Die lassen sich Zeit. Hetze ist nämlich ganz schlecht für die Lebensqualität. September

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26. September - Umstülpen
Wende die Welt einmal um, wie du Taschen umstülpst und sieh, was herausfällt.

Bunte Blätter und junge Katzen, ein paar Sonnenstrahlen und feuchtes Gras, Kieselsteine und Stroh, ein kleines Haus mit roten Dachziegeln, eine Herde Schafe und der Schäfer dazu mit seinen Hütehunden. Seine Pfeife qualmt noch, ein wenig durchgerüttelt und zerzaust stützt er sich schwer auf seinen langen gebogenen Stab um wieder auf die Beine zu kommen. Dann rieselt und bröckelt Muttererde hervor und formt sich fast wie von selbst zu großen Äckern mit Furchen, die Saat setzt sich in Reih und Glied selbst dort hinein. Ein paar Bäume rutschen nach, wenn du noch ein wenig schüttelst, ein Stoppelfeld von Mais und Büsche und Vögel, Krähen und Elstern. Wütend keckern sie über die üble Behandlung und ganz am Schluß kullerst du selbst heraus und irgendwie ist alles wie zuvor nur ganz anders.
Merkst du es schon? September

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Freitag, 26. September 2008
25. September - Ogülko
Ogülko war ein wunderschönes Mädchen. Ihre Mutter Japanerin, der Vater Deutscher. Ein wundersamer Zufall hatte ihr nur die besten Eigenschaften beider Eltern verliehen. Und so war sie nicht nur wunderschön sondern auch klug und fleißig.

Ogülko konnte gar nichts dafür, aber überall wo sie hin kam, war sie der Star. Wenn sie den Raum betrat, strahlte plötzlich der ganze Raum. Die Männer vergaßen, was sie sagen wollten und meistens auch den Mund wieder zuzuklappen, die Frauen zuckten entweder mit Augenbrauen und Schultern und taten gleichgültig oder erlagen sofort Ogülkos Charme und suchten ihre Nähe, ihr Strahlen, ihre Freundschaft und Liebe.

Auf Ogülko hatte dieses Verhalten der anderen Menschen auf sie eine unerwartete Wirkung. Es machte sie unglücklich. Oft hatte sie das Gefühl, die Menschen sähen nur das wunderschöne Bild von ihr und nicht sie selbst. So sehnte sich Ogülko verzweifelt danach endlich erkannt zu werden. Jeden Morgen bat sie darum, dass endlich jemand erkennen möge, wer sie wirklich ist. Eines Tages ging sie durch die Fußgängerzone. Die Menschen reagierten wie immer auf sie. Die Männer drehten die Hälse, die Frauen auch oder sie schauten demonstrativ woanders hin, zupften ihren Begleitern am Ärmel und machten abfällige Bemerkungen.

Aber etwas war doch anders diesmal. Ogülko konnte es anfangs nur spüren. Und dann sah sie es. Dort am Wegesrand saß eine alte Frau in einem weiten Mantel mit einem schwarzen Hund neben sich und schaute Ogülko mitten ins Herz. Ogülko blieb stehen, dann machte sie ein paar Schritte und setzte sich im Schneidersitz der Frau gegenüber auf den Boden. Die Blicke der Menschen um sie herum erloschen plötzlich, die Menschen gingen wieder ihres Weges, als existiere sie gar nicht. Ogülko atmete auf und lächelte die alte Frau an. Die nahm Ogülkos Hand und sagte zu ihr:

„Hab keine Angst, meine Kleine, du wirst noch viele Menschen treffen, die dich erkennen wollen. Dir mag es vielleicht so erscheinen, dass nur du auf einen Aspekt deiner Persönlichkeit reduziert wirst und das an deiner Schönheit liegt. Aber das widerfährt einem jeden. Schau, dieser Mann dort im teuren, blauen Anzug mit seinem Aktenkoffer, wie er eilig aus der Mittagspause zurück ins Büro eilt. Würdest du glauben, dass er nachts elegische Gedichte schreibt und an den Wochenenden regelmäßig Frau und Kinder prügelt? Oder hier, diese Frau, du würdest sie für arm und unglücklich halten in ihren abgerissenen Kleidern. Aber sie ist eine große Künstlerin, sie ist voller innerem Reichtum und nicht nur das, sie ist sogar wohlhabend, hat eine Familie, ein großes Haus, ist umgeben von Menschen und Dingen, die sie liebt. Nur Kleidung ist ihr gleichgültig, sie läuft immer noch herum wie eine ewige Studentin. Es wird Zeit, dass du durch die erste Reaktion der anderen Menschen auf deine Erscheinung hindurchschaust. Lerne die anderen richtig zu sehen und du wirst merken, dass auch du erkannt wirst.“

Ogülko dachte eine Weile über die Worte der alten Frau nach. Dann nickte sie. Plötzlich bemerkte sie, dass die Frau eine gelbe Binde am Ärmel trug mit drei schwarzen Kreisen darauf zu einem Dreieck angeordnet. Der schwarze Hund neben ihr trug das Geschirr eines Blindenhundes. Überrascht schaute sie der alten Frau in die trüben, grauen Augen.

„Und doch siehst du alles!“, flüsterte Ogülko. September

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24. September - Die Chance
Herbert hatte immer Pech gehabt im Leben. Lange hatte er das selbst nicht wahr haben wollen, aber dann musste er es doch einsehen. All das was ihm widerfahren war, konnte nur Pech sein, schlechtes Karma oder wohlmöglich die Rache Gottes.

Bereits als kleiner Junge gehörte Herbert immer zu den Kindern, die nur die unmöglichsten Klamotten ihrer älteren Geschwister auftragen mussten. Bereits als vierjähriger musste er eine Brille tragen. So ein fieses Horngestell, die Gläser größer als seine Handteller. Sah besonders toll aus zu seinen abstehenden Ohren, der Zahnlücke und den dünnen Fusselhaaren. Auch mit dem Lernen in der Schule lief es nicht so toll, irgendetwas oder irgendjemand gelang es immer Herbert abzulenken. Also hagelte es Einträge und Elterngespräche. Dabei gab Herbert sich wirklich Mühe aufzupassen. Sehr große Mühe. Aber dann saß eine kleine Meise auf dem Fensterbrett oder ein Spinne in der Zimmerecke spann kunstvoll ihr Netz oder ein Mitschüler hatte prima Comics dabei.

Herbert wuchs lange kaum. Seine Schulkameraden überragten ihnen alle um etliche Zentimerter. Erst mit 15 Jahren tat er plötzlich einen Schuß und war lang und klapperdürr statt klein und schlaksig. Mädchen interessierten sich überhaupt nicht für ihn. Die fanden ihn bloß merkwürdig, weil er sich immer für Vögel, Insekten und Kriechtiere aller Art begeisterte. Er baute auch Labyrinthe für Mäuse und Hamster. Dann schaute er ihnen stundenlang zu, wie sie dort herumliefen und in einer Ecke Futter fanden, in der nächsten Wasser oder sich immer wieder auf dem Weg dazu verirrten. Seinen Hauptschulabschluss schaffte er mit Ach und Krach. Eine Lehrstelle war einfach nicht aufzutreiben. Ab und zu gelang es ihm einen Gelegenheitsjob zu finden. Aber niemals blieb er lange irgendwo. Die anderen Mitarbeiter fanden ihn merkwürdig und die Chefs zu langsam und unkommunikativ. Also blieb er in seinem Kinderzimmer wohnen bis er 35 Jahre alt war.

Da geschah plötzlich etwas Unerwartetes. Es schien als würde Herbert plötzlich durch eine geballte Ladung Glück für das Elend seines Lebens entschädigt werden. Die Vorhersehung sandte einen Lichtstrahl zu Boden und traf ausgerechnet Herbert. Das Glück trat in Gestalt einer TV-Redaktion in Herberts Leben. Die suchten skurrile Leute für ihre RealityReportagen. Das wirkliche wahre Leben hat ja jeder selbst daheim. Aber Herbert war natürlich eine Ausnahme. Sie bauten ihn auf als armen Kerl, der immer Pech im Leben gehabt hatte und nun endlich einmal die Chance auf ein Leben im Glück haben sollte. Wobei Glück bedeutete von irgendeinem EbisF-Promi in den sogenannten JetSet eingeführt zu werden und im Finale tolle Frauen zu bezirzen, die ihm dann zu Füßen liegen sollten. Dazu brauchte Herbert natürlich eine Beauty-Behandlung, neue Kontaktlinsen, schicke Klamotten, einen Tanztrainer, einen Benimm-Trainer und etliche Coachings mehr. Dabei wurde er von der Kamera begleitet.

Aber Herbert spielte gar nicht mit, wie es die Fernsehfritzen erwartet hatten. Er stolperte auf Entdeckungsreise durch den Wellness-Tempel, aß die Gurkenmaske lieber auf und fand sie delikat, er verweigerte die Kontaktlinsen, seine neuen Klamotten fand er Scheiße und trug lieber die alten karierten Sakkos von Opa Herrmann auf. Dem Tanzlehrer brachte er erst einmal bei wie Mäuse und Ratten tanzten. Das hatte Herbert schließlich lange genug beobachtet. Und der Benimm-Lehrer nahm nach einer knappen Viertelstunde reißaus. Herbert sei beratungsresistent. Trotzdem schleppte ihn der EbisF-Promi auf eine IN-Party, die Kameraleute immer schön dabei. In der Tat lagen Herbert die Frauen dort zu Füßen allerdings vor Lachen. Doch das erwies sich als seine große Chance.

Heute hat Herbert seine eigene Comedy-Show und das Labyrinth mit den Mäusen Mini und Mausi eine Institution in der deutschen Unterhaltung. Ob das jetzt wirklich so ein Glück ist, weiß ich allerdings nicht zu sagen. Am besten fragt ihr Herbert mal selbst. September

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Dienstag, 23. September 2008
23. September - Das Gegenteil von gut
Heiner ruft aus der Küche. „Komm essen!“ Rita seufzt. Andauernd nervt der Typ. Erst kochen, dann aufwaschen, dann staubsaugen, putzen, einkaufen, ausgehen.

Und dann noch unerträgliche Einmischung in ihre Kleiderwahl.

„Zieh doch bitte das grüne Kleid an. Jeans und Bluse sind doch viel zu leger.“

Seit Rita mit Heiner zusammen ist, hat sie immer öfter das Gefühl, er behandele sie wie ein Kind. Wenn sie ihm sagt: „Halt dich da raus, ich ziehe mich an wie ich will“, dann sagt er sofort: „Aber ich kümmere mich doch nur um dich, weil ich dich so liebe!“ Schaut aus der Wäsche wie ein getretener Hund dabei. Wie soll Rita sich da noch weiter aufregen?

Sie ist so ungern im Unrecht oder wohlmöglich gemein, lieblos und hartherzig. Also schluckt sie tapfer runter, was ihr auf der Zunge brennt, im Hals schwillt und im Bauch grummelt. Eingeengt fühlt sie sich von soviel Fürsorge. Weil das Etikett Liebe dranklebt, wagt sie nur zaghafte Gegenwehr.

Aber, so denkt sie in letzter Zeit, ist das nicht nur ein gigantischer Schwindel? Kann das Liebe sein, wenn sich einer dauernd so über sie drüberstülpt und ihr jegliche eigene Initiative nehmen will? Immer über sie bestimmen will? Immer alles besser weiß? Auch wie sie sich zu fühlen hat?

Sie hat es so gründlich satt. Und immer öfter schaut der Heiner getreten aus der Wäsche. Spielt sie aus die Böse-Rita-Karte. Nur dass ihr schlechtes Gewissen sich inzwischen häufiger verflüchtigt. Zur Hölle mit der freundlichen, lieben, geduldigen Rita. Diese Behandlung bringt den Giftzwerg in ihr hervor. Wütend tanzt der Zwerg auf dem Parkett und hätte nichts dagegen statt nur auf Heiners Gefühlen auch auf seinem Rücken herumzutrampeln. Solch ein Zorn wütet in ihr. Der Giftzwerg spuckt Gift und Galle. Die liebevolle Fürsorge juckt und kratzt wie ein viel zu enger Schurwollpullover. Rita hat noch keine Idee, wie sie Heiner davon abhalten soll die Gluckenmutter zu geben. Aber in einem ist sie sich sicher: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. September

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22. September - Ideenlos?
Franz war einfach schon immer total ideenlos, das hatten ihm seine Lehrer seit jeher bescheinigt. Wenn er im Kunstunterricht einen Baum malte, groß und mächtig mit bunten Blüten vor einer idyllischen Landschaft mit Äckern und Wiesen, mit Bach und Weg, eine geschwungene Bergkette am Horizont und blauer Himmel mit Schäfchenwolken, dann sagten sie ihm, dies sei ganz nett, hübsch und sogar gut ausgeführt aber doch wahnsinnig ideenlos, so gar nicht avantgardistisch oder kritisch oder sublim oder ätherisch oder popartig oder wenigstens irgendwie surreal.

Franz neigte dann beschämt seinen Kopf, um die Röte seiner Wangen zu verbergen. Und doch, er konnte nicht anders. Er malte am liebsten Landschaften mit einem Baum als Mittelpunkt. Mal stand der Baum in Blüte, mal hing er voller Früchte, mal leuchteten seine Blätter gelb und rot, dann ragten schwarze Äste in den Winterhimmel. Er malte Bäume im Morgenlicht, in der Abendsonne und in wallendem Nebel verborgen. Er wurde immer besser darin. Irgendwann malte er ein paar Schafe auf einer Weide dazu, dann Reiter auf den Wegen und Vögel am Himmel. Seine Gemälde wurde immer belebter. Der mächtige Baum wanderte langsam vom Zentrum des Bildes an den Rand. Andere Bildinhalte wurden wichtiger.

Aber seine Lehrer lobten nach wie vor höchstens die Akkuratheit seines Pinselstrichs und tadelten die Ödnis seines immergleichen Themas. Franz ließ dann mehr aus Gewohnheit denn aus Scham einen Moment den Kopf hängen. Und dann malte er weiter seine immer belebteren Landschaften mit Baum. Er wollte nicht anders. September

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Montag, 22. September 2008
21. September - Sonntagskind
Gerhard wurde an einem Sonntag geboren. Die Hebamme war wütend, weil er ihr den guten Sonntagsbraten, das leckere Kaffeetrinken am Nachmittag und sogar noch das Abendbrot vermieste. Die Wehen dauerten ewig und jedesmal, wenn die Hebamme Hedwig sich gerade verabschiedet hatte, weil es noch eine Weile dauern würde bis es richtig losging und weil sie endlich an ihren Mittagstisch, Kaffeetisch, Abendbrottisch zurückkehren wollte, da machte Gerhard schon wieder derartige Anstalten nun endlich doch herausgepresst werden zu wollen, dass seine Mutter schrie und sein Vater rannte, um Hedwig zu holen.

Hedwig kam jedesmal kauend an die Tür als Gerhards Vater wieder läutete. Er völllig aufgelöst. Außer Atem. Weiß im Gesicht mit roten Flecken. Kaum fähig ein vernünftiges Wort herauszubringen. Es war sein erstes Kind, die erste Geburt, die er miterlebte und er litt mit seiner Frau. Die krümmte sich und schrie, wollte das Kind endlich da heraus haben aus dem Bauch. Und Gerhard schien ja auch zu wollen. Aber dann auch wieder nicht. Vielleicht war ihm auch nur Hedwig nicht angenehm. Denn kaum hatte sie nach dem voraneilenden Vater das Haus betreten, hielt Gerhard plötzlich still. Versuchte sich im Uterus seiner Mutter zu verkriechen.

Das war doch nur Spaß, das war doch nicht Ernst gemeint. Da raus auf diese Welt? Hervorgepresst und herausgezerrt in Hedwigs Arme? Das konnte niemals der Ernst seiner Mutter sein. Wie schön war es da doch im gluckernden, wunderbaren Bauch. Jederzeit versorgt, aufgehoben und sicher. Nur sehr eng derweil. Das musste Gerhard doch zugeben. Und er wollte ja, wollte ja endlich hier heraus und kennenlernen, was er nur von innen spürte. Seine Mama hatte ihm so viel erzählt, sein Papa so viel versprochen. Aber dann Hedwig. Die Schritte donnernd, die Stimme irgendwie rauh und herrisch. Sie schimpfte mit Mama und schimpfte mit Papa. Wie konnte Gerhard da hervorkommen wollen? Ach welche Erleichterung als diese Person wieder hinausgestampft war, sich Stille ausbreitete.

Vielleicht sollte er es doch noch einmal versuchen. Auch wenn Mama sich wand vor Schmerzen. Er konnte das nun wirklich nicht ändern. Wieder schrumpfen, sich in Luft auflösen. Als sei es nicht schon anstrengend genug und beklemmend genug und da klingelte die Nachbarin. Eine liebe Frau, sehr erfahren und auch sie konnte Hedwig nicht leiden, was Gerhard sehr vernünftig fand. Mit leisen Schritten kam sie herein, die Stimme eine Wohltat. So voller Freude und Liebe. Sanfte, kühle Hände hatte sie. Legte sie auf Mamas Stirn, beruhigte sie, half ihr und plötzlich mochte Gerhard nicht mehr länger warten. In ihre Welt wollte er gerne kommen und so wurde Gerhard an einem Sonntag geboren. Eine Viertelstunde vor Mitternacht. Und anstatt zu schreien lachte er. Ein Sonntagskind eben. September

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