Samstag, 1. November 2008
31. Oktober - Wieder daheim
Ein paar Tage war ich getrennt von meiner gewohnten Umgebung und kehre zurück in Vertrautheit. Aber als erstes nehme ich mir Zeit. Dann Ruhe. Dann Zweisamkeit.

Ich ordne und pflege. Lasse dann alles los und gönne mir noch mehr Zeit. Der Rhythmus des Meeres pulsiert noch in meinem Blut und lässt mich den Staccato der täglichen Hektik noch ein paar köstliche Tage ignorieren.

Vielleicht für immer. Oktober

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30. Oktober - Ostsee-Elfchen
Wind

fegt um

das Haus. Sicher

behütet es unseren Schlaf.

Geborgenheit!



Kuscheln

in warme

Kissen und sägen,

was Marilu halten kann:

Damp



Vier

lachende Schwestern

stehen am Strand

und tanzen im Sonnenaufgang:

Magie!



Löcher

suchen am

Strand mit Stein

drumherum für Marions Mobilé:

Hühnergötter! Oktober

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29. Oktober - Das Meer
Allein und mir selbst genug balancierte ich am Rande der See. Mit zuverlässigem Schlag warf sich das Meer an den Strand, zog sich zurück und rollte aufs Neue.

Goldenes Sonnenlicht ließ das Wasser bis zum Horizont in Azur mit einem Hauch Gletscherblau erstrahlen. Hyperrealistisch. Höher als die Wirklichkeit. Sich einbrennend in die Seele, tief hinabsinkend in jede Zelle. Es lockte mich das Wasser.

Also zog ich die Schuhe und Strümpfe aus, rollte die Hosenbeine bis zum Knie hinauf und durchwatete einer Sandbank folgend das seichte Wasser in zwei, drei Meter Entfernung vom Ufer. Die Wellen schlugen höher und zogen an meinen Beinen. Es schien als würden die vier Fünftel Wasser in mir sich nach Vereinigung sehnen und drängen. Um Auflösung in der Ursuppe, dem ewigen Meer bitten. So einfach loszulassen und sich mit Quallen und Larven und Seesternen und Fischen und Krebsen und Plankton und Algen zu vereinen zu einem langsamen Tanz. Die Last und Lust der Einheit. Sehnsucht greift nach mir mich aufzulösen in der Weite und Tiefe des Meeres. Wieder Wasser mit allen Wassern zu sein.

Aber ich bin Fleisch gewordenes Wasser, geordnete Wimmelei, hochspezialisierte Zellen haben ihre Freiheit geopfert um mich autonomes, einzigartiges Wesen zu formen, das nun dort auf Milliarden Jahren alten Steinen steht. Den weiten seit Äonen wartenden Himmel über sich. Oktober

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28. Oktober - Schwanenpantomime
Schwäne machen es sich hier an der Ostsee gerne in Strandnähe gemütlich. Im flachen Wasser treiben sie dahin und gründeln. Mit einem entschlossenen zurückwerfen ihre Kopfes lassen sie ihre Ernte den Schlund hinabrollen.

Von April bis September ist dieser Teil des Strandes für Spaziergänger gesperrt und allein den brütenden Vögeln vorbehalten. Nun im Oktober scheinen die Brutgeschäfte erledigt und wir Touristen dürfen auch hier im hellen Sand am Rand des Meeres balancieren.

Das Rauschen der See schien mich von den übrigen Spaziergängern zu entfernen und ganz der Beobachtung der Natur zu öffnen. Ein junger Schwan, dick und mächtig aber immer noch in graues Gefieder gekleidet, schwamm nahe am Ufer. Nicht weit von ihm entfernt ein etwa gleichgroßer, weißer Schwan. Immer wieder ins salzige Wasser abtauchend. Als ich mich dem grauen Schwan langsam aber unaufhaltsam näherte, dachte ich nach über die Geschichte vom vom hässlichen Entlein. Ich fragte mich, ob dieser minderjährige Schwan nicht recht spät dran sei, ob Schwäne nicht auch in den Süden ziehen.

Dabei beobachtete ich den Grauen, der ein wenig gelangweilt im Wasser entlangdümpelte, als plötzlich der weiße Schwan durch das Heben seines orangefarbenen Beines aus dem Wasser meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er streckte es nach hinten aus als mache er Stretching. Dann wandte er sich ganz mir zu und enfaltete für einen kurzen Augenblick seine Schwingen, breitete sie aus und streckte mir fast spielerisch in Zeitlupe den Hals entgegen. Eine Drohung nur und ich verstand sofort.

"Wag es nicht meinem Kinde zu nahe zu kommen, sonst bekommst du es mit mir zu tun." Respektvoll entfernte ich mich mit zügigen Schritten. Ohne es zu Beabsichtigen hatte ich eine Grenze überschritten und war mit einer wohlwollenden Ermahnung davongekommen. Oktober

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27. Oktober - Meeresrauschen
Das Meer rauscht und plätschert und perlt und sprüht und tanzt seinen ganz eigenen Tanz mit dem Wind und der Kraft der Gezeiten. Weit fort am Horizont ziehen große Tanker vorbei. Wie kleine rote Spielzeuge. Fast kann ich sie mit der Hand greifen. Möwen schreien. Salzige Luft legt sich auf meine Haut. Der beständige Grundton des Meeres trennt mich von allen anderen und zieht mich unausweichlich in den Bann der See.

Trotz der Kälte muss ich wenigstens meine Hand das Wasser berühren lassen. Und die See brandet auf, umspült meine Finger, benetzt meinen Handrücken. In ewigem Geben und Nehmen zieht sie hinab und speit wieder aus. Hineinstürzen mag ich mich und mich vereinen, versinken in der kühlen Tiefe. Die Geborgenheit lockt mich. Nur mein Verstand sagt mir, wie unpraktisch es sei, bei einer Lufttemperatur um 10 Grad Celsius sich ins Meer zu stürzen. Ohne Badekleidung, ohne Handtuch, so völlig besinnungslos.

Schade. Vielleicht lüftete ich sämtliche Geheimnisse der Welt, wenn ich nicht täte, was praktisch, oder nicht lasse, was unnötig erscheinen mag. Oktober

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26. Oktober - Ankommen
Nach langer Fahrt ankommen, fünf Tage liegen jetzt vor uns. Tage voller Möglichkeiten. Tage voller Geheimnisse. Tage voller Begegnungen.

Jede von uns ergreift auf ihre Weise Besitz von dem Raum, den wir in den nächsten Tagen teilen werden. Die Betten werden ausgelost. Die Kleidung und wichtigen Besitztümer wohl verstaut. Die Schreibkladden, die Stifte, die Zeitschriften, Scheren und Kleber, um Collagen herzustellen, bereitgelegt. Pläne werden geschmiedet. Und beschlossen sich einfach nicht daran zu halten, wenn "gerade etwas Anderes dran ist".

Seltsame Einigkeit und Achtsamkeit herrscht zwischen uns. Mit Respekt und Liebe begegnen wir einander. So entfalten sich zwischen uns Flügel, die uns zum Himmel tragen. Gespinste, die alte Trauer umweben und in Leichtigkeit wandeln. Fünf unendliche Tage liegen vor uns und alles ist möglich. Oktober

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Samstag, 25. Oktober 2008
25. Oktober - Ausruhen
"Wie, ich höre immer ausruhen, Pause machen! Was sind denn das für Töne? Willst du denn gar nicht fertig werden?"

Kai schaut Ludmilla herausfordernd an. Er lächelt, aber seinen Augen sieht Ludmilla an, dass er es überhaupt nicht lustig findet. Aber Ludmilla brauch jetzt einfach mal eine Pause.

Seit Wochen arbeiten die beiden an der Ausstellung. Ständig dreht sich alles nur um die Skulpturen, wo was stehen soll, wie das Licht fällt, was auf den Schildchen steht. Ludmilla kann es nicht mehr hören und nicht mehr sehen. Vor allem wird es nicht besser nur immer chaotischer und schlechter.

In solchen Augenblicken, daran erinnert sich Ludmilla genau, hat ihre Großmutter immer gesagt. Da hilft nur Pause machen, Abstand gewinnen, Kopf freiblasen lassen. Und genau das wird Ludmilla jetzt tun. Soll doch Kai im Dreieck springen. Oktober

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24. Oktober - Nacht
Tiefe Schwärze breitet sich aus, dringt durch das Fenster ein, sickert durch der Tür durch. Nur mühsam erhellt die trübe Lampe meinen Schreibtisch. Taucht meine schrumpfende Welt in gelblich fahles Licht. Es ist so still, dass jedes Geräusch einem Crescendo gleichkommt. So wage ich kaum zu atmen, streichele nur sanft die Tasten. Sehne mich nach flüsterleisem Anschlag und ruhigem Fluss meiner Gedanken. Rüde unterbrochen werden sie vom Hämmern meiner Finger. Nacht und Kälte. Tropft herein. Wabert um mich. So fern der Tag mit strahlendem Sonnenschein und vollen Klängen. Oktober

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23. Oktober - Karl zieht aus
Karl wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die letzte Kiste war endlich im Umzugswagen verstaut. Er musste ein wenig drücken um die Türen des Transporters zu schließen.

Irmgard reichte ihm eine Flasche Wasser. Ein Bier wäre ihm lieber gewesen. Aber er musste ja noch fahren.

"Das war's dann".

Irmgard trat von einem Fuß auf den andern. Karl fragte sich, ob ihr nur die Situation unangenehm war oder sie ihn am liebsten schnell loswerden wollte. Warum überhaupt und schon wieder verabschieden. Schließlich hatte er nur noch seinen Krempel abgeholt. Ausgezogen war er vor mehr als sechs Wochen. Rausgeworfen worden traf es wohl eher. Aber er machte Irmgard keinen Vorwurf. Eigentlich hatten sie sowieso nie zusammen gepasst. Dafür waren 16 Jahre eine lange Zeit, die sie miteinander ausgehalten hatten.

"Ja", er räusperte sich, "dann mach's mal gut!"

"Du auch", erwiderte Irmgard mit kratziger Stimme.

Jetzt glitzerten schon wieder Tränen in ihren Augen. Versteh einer die Frauen! Erst die Beziehung Knall auf Fall beenden und danach ewig rumheulen. Karl schraubte die Flasche zu und reichte sie ihr. Dabei ließ er seinen Blick über die Hofeinfahrt flirren. Alles, bloß jetzt nicht Irmgard anschauen. Er streckte ihr die Hand hin und wagte immer noch nicht ihr ins Gesicht zu sehen. Als er dann endlich im Auto saß und losfuhr, drehte er die Anlage bis hinten auf und weinte den ganzen weiten Weg bis zu seiner neuen Wohnung. Oktober

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Mittwoch, 22. Oktober 2008
22. Oktober - Träume 1975
Als ich ein kleines Mädchen war, träumte ich sehr häufig vom Atomkrieg. Es begann meist mit einer harmlosen Begebenheit, einem Ausflug, einem Picknick im Grünen.
Plötzlich kamen Militärfahrzeuge in die Idylle gebrettert. Haubschrauber durchwühlten die Luft, aus denen sich Froschmänner abseilten in den Waldsee, den Fluss oder was sonst an Gewässer gerade in meinem Traum vorhanden war. Wir Zivilisten wurden von maskierten Soldaten angeschnauzt, herumgeschupst, zu sinnlosen Hilfsmaßnahmen gezwungen.

So rafften wir zusammen, was möglich war. Stützten die Alten und halfen einer jungen Mutter den Kinderwagen mit dem plärrenden Säugling über die steile Böschung zu tragen. Aber all unser Mühen war vergebens. Am Horizont wuchs der Atompilz in die Höhe und ich wachte auf.

Das also waren die Träume meiner Kindheit so um 1975. Oktober

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