Dienstag, 21. Oktober 2008
21. Oktober - Der Geist des Kriegers
Der Geist des Kriegers wacht über mir. Gesichtslos starrt er mich an aus dem Dunkel seines korinthischen Helmes. Was er denkt? Das bleibt mir verborgen.

Vielleicht ist er längst des Kämpfens müde und mag Helm und Harnisch von sich werfen. Vielleicht steht ihm der Sinn nach Blumen pflücken, Frauen küssen oder Erde umgraben. Es könnte aber auch sein, dass er den Frieden verdammt und sich verzweifelt nach der nächsten blutigen Schlacht sehnt, damit er sein Handwerk ausführen kann, das des Kriegers.

Ein Krieger kann sich mächtig fühlen und sicher, nicht so wie ein Soldat. Ein Soldat ist der erste, der draufgeht. Aber der Krieger ist der stolze Held, der seine Geschicke selbst lenkt. Der sich misst im Kampfe und selbstverständlich nur die gerechte Sache verteidigt. Das Handwerk des Kriegers besteht vor allem darin, nicht darüber hinaus zu denken. Besser gar nicht zu denken, weder mit noch selbst noch darüber hinaus. Nachbeten, das ist schon eher seine Aufgabe.

Wer entscheidet? Wer definiert die gerechte Sache, die Ehre, die Wahrheit? Am Anfang war das Wort. Der Krieger kräuselt die Stirn hinter dem kühlen Metall. Er mag nicht folgen. Er bleibt in der Sicherheit seines Handwerks, seiner erlernten Werte, seiner vorgefassten Meinungen. Auf ihn ist Verlass. Wie wankelmütig müssen die sein, die selbst denken, wie unabhängig, wie frei, wie gefährlich.

Der Krieger bewegt sich nicht, richtet nur den Blick jetzt lieber in die Ferne. Diese Frau dort am Schreibtisch bildet sich am Ende noch ein, die Feder sei mächtiger als das Schwert. Worte und Werte definieren, Name und Bedeutung geben sei wichtiger als Kampf und Sieg. Oktober

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Montag, 20. Oktober 2008
20. Oktober - Gipfeltreffen
Die romantische Liebe sei heutzutage die Grundlage der Paarbeziehungen in der westlichen Welt. Auf Hochzeitskarten, bunten Servietten und kitschigen Bildern da sehen wir häufig ein Bild von traut sich zuneigenden Schwänen, die mit ihren langen Hälsen ein Herz formen.

Schwäne – so hört man immer wieder – seien sehr treue Vögel. Gewöhnlich bleiben sie ein Leben lang beieinander. Aber manchmal frage ich mich, was eigentlich dran ist an dieser Vorstellung von Zweisamkeit.

Sind Beziehungen nicht viel häufiger wie die Begegnung zweier großer, mächtiger Eisberge, die im Meer treiben. Manche touchieren einander nur leicht. Andere ziehen derartig langsam aneinander vorbei, dass sie erscheinen wie ein großer Eisberg mit zwei aufragenden Gipfeln. Im Untergrund, bei den neun Zehnteln unter Wasser, da knirscht es, da herrscht Spannung, da werden wohlmöglich Eisbrocken in gigantischen Ausmaßen abgesprengt, verschmolzen, verdichtet.

Ein Beobachter sieht diese Eisberge gemeinsam und sagt: „Sie gehören zueinander. Sieh doch, wie Zwillinge ragen sie auf. Nichts kann sie trennen.“ Wohlmöglich glauben sogar die Eisberge daran, dass sie in Wahrheit ein großer Berg geworden sind.

Aber dann, vielleicht erst nach Jahren ist der Austausch im Untergrund beendet, die letzen Wunden sind geschlagen, die liebsten Eiskristalle getauscht und die Eisriesen trennen sich wieder. Jeder treibt weiter in entgegengesetzter Richtung seiner Bestimmung zu – der eine sich mit dem ewigen Eis zu vereinen, der andere im warmen Äquatorialmeer zu schmelzen. Oktober

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19. Oktober - Abendrot
Verheißung für den neuen Tag. Weit streckt die Sonne ihre letzten Strahlen über den Horizont. Zaubert rosiges Leuchten in die Wolken. Grüßt uns ein letztes Mal mit ihrem Farbenspiel zur Nacht, bevor sich langsam alle Farben auflösen und die hellen und dunklen Schatten ihre Herrschaft antreten. Oktober

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18. Oktober - Nachts am Meer
Völlige Dunkelheit umgibt uns, kaum haben wir unser Auto am Parkplatz abgestellt. Außerhalb der Saison sind um diese späte Stunde weder Strandbars geöffnet noch Promenadenbeleuchtung eingeschaltet. Hinter der Düne höre ich das Meeresrauschen aufsteigen. Mit dem funzeligen Licht unserer kleinen Taschenlampe finden wir den Weg zum Strand. Das Meer brandet in tiefer Schwärze an.

Ich kann es hören und spüren aber nicht sehen. Überhaupt ist es mir rätselhaft, wie ich in dieser totalen Schwärze überhaupt einen Weg finde. Aber obwohl ich nicht wirklich sehen kann, gelange ich genau an diese Linie, wo das Meer mit seiner gierigen Zunge am Strand leckt. Ein klein wenig Schaum zurücklässt, ein wenig Sand mit zurück ins Meer nimmt.

Das Geräusch der Brandung, das Streicheln des Windes, der Geruch der See, das alles lässt mich jubeln und tanzen dort im tiefen Schwarz am Strand. Ich vergesse völlig meinen Begleiter, der geistesgegenwärtig ein Foto schießt, wie ich wild am Strand entlanghüpfe. So außer mir vor Glück, habe er mich noch niemals erlebt. Natürlich zeigt das Foto nur ein undeutliches völlig überstrahltes Gesicht vor undurchdringlicher Schwärze. Wie ein Herzmonitor ja auch nur den Ausschlag anzeigt aber niemals was ein Herz fühlt. Oktober

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17. Oktober - Herbst
Habt Ihr mich jemals klagen hören, wie schrecklich es sei, dass der leuchtende und warme Sommer nun vorbei sei? Habe ich mich jemals beschwert, dass die Bäume und Sträucher nun in voller Pracht der Herbstfarben blühen, die Blätter in zartem Gelb, kräftigem Ocker, in Rosarot, in Burgunderfarben und in hellem Braun zeigen? Habe ich über den Nebel geschimpft, der an vielen Tagen hoch über uns hängt, sich manchmal auflöst und goldenen Sonnenstrahlen Platz macht? Oder habe ich den Regenwolken gezürnt, die sich manchmal mit stürmischen Winden gepaart über uns ergießen?

Vielleicht habe ich hin und wieder ganz zaghaft gemäkelt, weil die Temperaturen nicht mehr so angenehme Höhen erreichen. Es mag auch sein, dass ich mich über die kürzer werdenden Tage ein klein wenig negativ geäußert habe. Aber im Großen und Ganzen finde ich den Herbst wunderschön und malerisch. Auch er wird wieder viel zu kurz sein. Oktober

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16. Oktober - Fieber
Ganz selten habe ich Fieber. Das letzte Mal vor vielen, vielen Jahren als ich gerade von meinen Eltern fortgezogen war, in eine andere Stadt.

Und als mich dann meine Mutter für ein Wochenende besuchen kam, da wurde ich plötzlich krank, hatte hohes Fieber und meine arme Mutter war verurteilt Krankenwache zu halten. Das tat sie auch – ohne zu klagen. Was nicht selbstverständlich sein mag. Vor allem, weil es in meiner kleinen Ein-Zimmer-Wohnung nur ein Bett gab und kein Sofa, auch keine bequemen Sessel. Ich weiß nicht mehr, wie sie überhaupt die Nacht verbracht hat. Ob sie es gewagt hat sich neben mir auf dem Futon zum Schlafen zu legen oder ob sie sich mühsam auf einem meiner unbequemen Holzstühle ab und zu mit dem Kopf auf den Küchentisch sinkend wachgehalten hat.

Ich erinnere mich nur noch, dass ich froh war, nicht allein zu sein mit meinem hohem Fieber. Ich fühlte mich so krank und hilflos, dass mir die Tränen aus den Augen rannen und ich glaubte sterben zu müssen. So hoch war das Fieber. Manchmal frage ich mich, ob ich an diesem Wochenende ohne den Besuch meiner Mutter einfach nicht krank geworden wäre. Vielleicht konnte ich mich nur deshalb so gehen lassen und krank werden, weil die Sicherheit der mütterlichen Pflege in greifbarer Nähe war. Oktober

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Freitag, 17. Oktober 2008
15. Oktober - Werd gesund
"Gib nicht auf, kleiner Tiger, gib nicht auf". Wie ein Mantra wiederholte Judith diesen Satz, während sie den kranken Kater streichelte.

Wenn sie ihm nur ihre Kraft übertragen könnte, damit ihm das Atmen leichter fiele und sein Fieber sänke. Die Tierärztin hatte Judith keine Hoffnung gemacht. Sie wollte das Tier am liebsten Einschläfern. Judith hatte gezögert. Einerseits wollte sie ihren Kater nicht sinnlos leiden lassen, aber andererseits konnte sie ihn auch nicht einfach so gehen lassen.

Da hatte ihr der Kater plötzlich mit einem Auge zugeblinzelt. Und da sagte Judith: "Nein!" Und so lag sie jetzt neben dem Kater auf dem Teppich. Ganz nah an der Heizung, halb darunter, schräg hinter das Sofa hatte sich der Kater gekauert und war bis auf seinen schweren, rasselnden Atem ganz still. Da überlegte Judith, dass sie vielleicht ihre Botschaft überdenken sollte. Nicht aufgeben war ja streng genommen keine wirkliche Option. Nicht aufgeben hieß nur weiterhin kämpfen, weiter zwischen Leben und Tod hängen.

"Werd gesund, kleiner Tiger, werd gesund. Spring wieder über die Felder. Jage den Mäusen hinterher. Sitze stundenlang geduldig vorm Mauseloch. Räkel dich faul in der Sonne. Fauch den Nachbarshund an. Klettere auf den Baum und jammere kläglich, weil du nicht mehr herunterkommst. Dabei habe ich dich heimlich beobachtet. Wenn keiner guckt, kommst du auch allein den Baum herunter. Werd gesund, kleiner Tiger, werd gesund."

Lange Zeit lag Judith neben dem Kater auf dem Boden und erzählte ihm Geschichten vom schönen Katerleben. Plötzlich hörte das Rasseln auf. Dann holte der Kater dreimal keuchend Luft und nieste so heftig, dass grüngelber Nasenschleim nur so herausflog. Zum Glück an Judith vorbei. Dann schaute der Kater Judith an und begann zu schnurren. Eine halbe Stunde später stand er mit steifen Beinen auf, streckte sich und schlich klapperdürr und zottelig, leicht schwankend in die Küche, um etwas zu fressen. Endlich bereit gesund zu sein. Oktober

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Mittwoch, 15. Oktober 2008
14. Oktober - Golo
Es war einmal eine Feldmaus mit Namen Golo. Die hatte eine sehr, sehr große Familie. Die lebte in einem großen Gangsystem unter der Brache am Dorfrand.

Das war ein herrliches Leben! Zwar kamen ab und zu Hunde vorbei und steckten ihre neugierigen Nasen in die Mauselöcher. Manche von ihnen buddelten auch. Aber die Mäuse lachten nur und flitzten durch die vielen Tunnel und Gänge davon. Golo war die vorwitzigste von den Mäusen. Einmal hatte er sogar einem Kater am Schwanz gezogen, der geduldig vor einem Mauseloch ausharrte. Golo war einfach durch die Gänge gelaufen, hinter dem Kater aus einem verborgenen Mauseloch gekrochen und hatte sich hinterrücks angeschlichen.

Aber eines Tages geschah etwas Ungeheuerliches, etwas Unglaubliches. Ein riesiges Monstrum näherte sich dem großen, brach liegenden Feld. Das Monster war grün und hatte an den Seiten große Räder und hinter sich her zog es ein furchteinflößendes, spitzes Gerät. Das sah aus wie eine überdimensionierte Grabgabel. Und genau das war es auch. Golo war der einzige, der zurückblieb, als die übrigen Mäuse in alle Himmelsrichtungen davonhetzten. Mühsam hatte er es bis zu einem kleinen Erdhügel am Feldrand geschafft und schaute zu, was geschah.

Mit ungeheurer Kraft und unaufhaltsamer Geradlinigkeit fuhr das Monstrum die breite Grabgabel gesenkt über die Megacity der Mäuse und grub sie Bahn für Bahn gnadenlos um. Die schönen Tunnel, die wunderbaren Kuschelhöhlen, die Futtergruben - alles wurde einfach von unten nach oben gekehrt. Zerstört. Golo weinte, als er das sah. In diesem Augenblick schwor er die Stadt wieder aufzubauen. So wahr er hier auf dem Erdhügel stand, würde er Golo, die Stadt der Mäuse wieder errichten und zu ihrer alten Größe führen.

Wenig später fraß ihn der Kater, den er am Schwanz gezogen hatte. Nur Golos Leber ließ er liegen. Die schmeckte ihm nicht. Oktober

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Montag, 13. Oktober 2008
13. Oktober - Sehnsucht
Woher kommt diese Sehnsucht?

Woher kommt diese Unzufriedenheit?

Besonders bei Menschen, die alles zu haben scheinen.

Bei Menschen, die keine Sorgen kennen.

Und doch gibt es immer etwas, das fehlt.

Dieser Glücksmoment lässt sich nicht konservieren. Wie schön die Sonne auch strahlt, wie wunderbar die Sterne funkeln, wie nah ein geliebter Mensch auch ist.

Der Moment vergeht und übrig bleibt, was fehlt. Was uns zieht und drängt, uns in Bewegung hält.
Auch das ein großes Glück oder einfach nur Leben? Oktober

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12. Oktober - Schatten
Wenn die Erde sich auf ihrer Reise durchs All mit der nördlichen Halbkugel von der Sonne fortneigt, wird es Herbst. Falls wir sie überhaupt zu Gesicht bekommen zieht die Sonne nur noch in einer flachen Bahn über den Horizont und wirft vor allem lange Schatten. Jedes kleinste Hindernis, ein kleiner Hügel oder ein mehrstöckiges Haus entscheiden darüber, ob die Oktobersonne noch in den Garten fällt oder ins Fenster scheint.

Nicht alle sind so glücklich wie ich. Auf dem Lande direkt am Feldrand wohnend zieht die Sonne fast den ganzen Tag an meinem unverbauten Blick vorbei. Scheint mir ins Fenster und sticht mir in die Augen, wenn ich nicht das Plissee herunterlasse. Welch ein Luxus so ein unverbauter Blick. Dabei verdanke ich ihn nur dem Regionalflugplatz in ein paar hundert Meter Entfernung. Ich stamme aus der Großstadt - der Lärm hat mich niemals gestört - aber ständig umzingelt zu sein von hohen Häusern, gefangen in endlosen Schluchten, eingezwängt in stickigen U-Bahnen - das fand ich gräßlich. Freiraum und Weitblick wollte ich immer schon lieber als kein Lärm. Oktober

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