Dienstag, 27. Mai 2008
30. April – So was von Mittelmaß
365und1tag, 22:36h
Georg schüttelte traurig den Kopf als sein Blick über Leonies Zwischenzeugnis glitt. In Mathematik schon wieder eine Fünf und in Latein, Physik, Biologie und Sport eine Drei, in Kunst eine Eins, der Rest Zweien. Überall war seine Tochter nichts als Mittelmaß. Außer natürlich in Mathe, da war sie schlecht. Trotz der teuren Nachhilfestunden. Vielleicht war das Gymnasium doch nicht das Richtige für das Kind. Wo war sie überhaupt wieder? Georg schaute in der ganzen Wohnung, keine Leonie. Aber die Malsachen fehlten. War sie also wieder draußen zum Zeichnen. Bei dem schönen Wetter kein Wunder. Nur war Leonie immer draußen, bei Regen, bei Schnee und bei Sonnenschein. Wenn Sie nur malen und zeichnen konnte, war sie glücklich. Sicherlich, in Kunst hatte das Kind eine Eins. Die Lehrerin sprach von Talent und notwendiger Förderung. Aber wie sollte er dafür auch noch Geld aufbringen? Die Mathematiknachhilfe war schon teuer genug. Und außerdem, was sollte Leonie den später mal damit machen? Künstler wurden doch meistens nicht berühmt und wenn waren das so selbstbewusste Showtypen, die sich in Szene setzen konnten. Auf die Qualität der Bilder kam es doch gar nicht an. Und Leonie war viel zu schüchtern. Obwohl ihre Mutter sie extra im Selbstbehauptungskurs angemeldet hatte. Aber auch da hatte Leonie hautpsächlich gezeichnet. In schnellen Strichen festgehalten wie die Mädchen auf dick gepolsterte Schlaghandschuhe eindroschen. Wie sie auch in Rückenlage noch Zutreten und Kämpfen lernten. Die Zeichnungen waren wirklich gut. Aber Leonie sollte doch Selbstbehauptung lernen. Wie sollte sie denn so jemals in ihrem Leben zurechtkommen? Georg hörte den Schlüssel in der Wohnungstür. „Leonie“, rief er. „Was?“ „Komm mal her! Wo warst Du denn schon wieder? Malen? Stimmt’s? Hast Du schon Hausaufgaben gemacht?“ Leonie schüttelte den Kopf. „Die mach’ ich gleich.“ „Nix da, gleich, sofort machst Du die!“ Anstatt wie sonst klein beizugeben, blieb Leonie vor ihrem Vater stehen. „Nein, zuerst ordne ich meine Skizzen und arbeite weiter an meinem Gemälde. Endlich weiß ich, wie das Licht fallen muss.“ Einen Augenblick war Georg sprachlos. Dann holte er tief Luft. Aber Leonie kam ihm zuvor: „Ich mache die Aufgaben danach, versprochen. Und Mathenachhilfe brauche ich auch nicht mehr. Die Svenja aus dem Selbstbehauptungskurs kann mir das viel besser beibringen. Die kommt dann Morgennachmittag.“ Leonie drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in ihrem Zimmer. April
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