Dienstag, 27. Mai 2008
8. Januar - Zuhören
365und1tag, 14:43h
Drei Bekannte von mir wohnen in einer Straße, ihre Grundstücke liegen nebeneinander. Der ganz links wohnt kommt zu mir und sagt: „Mein Nachbar ist so schrecklich, er lässt seinen Garten total verwildern, diese grässliche Wildblumenwiese mit lauter Unkraut, kein Beet ist ordentlich, kein Baum, kein Busch gepflegt und zurechtgestutzt. Immer wehen die Unkrautsamen in meinen ordentlichen Garten hinüber. Der ist doch Rentner, muss der denn so einen verlotterten Garten haben, der hat doch Zeit. Und im Herbst da fällt immer das Fallobst auf meinen Rasen.“ Aber seinem Nachbarn, dem alten Mann, sagt mein Bekannter nichts. Er grüßt ihn freundlich, wenn er ihn sieht und flucht innerlich, wenn er in seinem Garten Unkraut jätet oder Fallobst aufliest, denn an all seiner Mühsal ist nur der alte Nachbar Schuld.
Auf der anderen Seite vom alten Mann wohnt eine Familie mit kleinen Kindern. Und sie beschweren sich auch bei mir über ihren Nachbarn, genauer gesagt über seine Katze. Denn die legt so häufig tote Mäuse oder manchmal sogar tote Vögel auf deren Terrasse. Und wenn sie nicht immer den Sandkasten der Kinder verdeckt halten, dann verscharrt die Katze dort ihren Kot. Die Familie möchte keinen Streit mit dem alten Mann und die Kinder lieben die Katze ja auch und graulen sie gerne und spielen mit ihr. Aber im Grunde stört sie es doch, dass der alte Mann seine Katze nicht besser erziehen kann.
Und der alte Mann beschwert sich bei mir, weil seine Katze viel lieber bei den Nachbarn sei. Die Kinder lockten sie doch ständig rüber. Dabei wäre es ihm viel lieber, wenn die Katze bei ihm auf dem Sofa säße. Dann könnte er sie graulen und wäre nicht so allein. Zu ihm kommt sie doch fast nur zum Fressen. Und über den Nachbarn auf der anderen Seite beschwert er sich auch. Der sei ja verrückt, jede freie Minute renne der im Garten rum, zupfe Unkraut. Bei ihm stünden alle Pflanzen stramm wie auf dem Kasernenhof. Keiner dürfe dort über den sorgfältig gerechten Weg laufen. Der Rasen sei mit der Nagelschere getrimmt und fast immer, wenn der alte Mann gemütlich in seinem Garten sitzen wolle, die Zeitung lesen, ein Bierchen trinken, dann lärme unweigerlich da drüben beim Nachbarn irgendein Gerät: Der Rasenmäher, die Heckenschere, der Laubsauger oder sonst eine Höllenmaschine. Es sei doch viel schöner die Natur einfach wachsen zu lassen. Ab und zu mal mähen, hie und da mal vom Obst naschen. Ihm sei das einfach zu anstrengend in seinem Alter noch ständig im Garten zu wühlen. Wo bliebe denn da die Gemütlichkeit?
Jeder erzählt mir seine Geschichte und jede kommt mir völlig einleuchtend vor, jede der drei Parteien hat Recht. Ich werde mich auf keine Seite schlagen. Das einzige was mir einfällt, ist jedem der Drei zu sagen: „Sprecht miteinander, nicht mit mir!“ Wenn das nichts nützt bleibt mir nur, mein Zuhören zu verweigern. Manchmal führt das dazu, dass Menschen miteinander sprechen. Aber meistens weichen sie nur auf einen anderen Zuhörer aus: ihren Friseur, den Pfarrer, ihren Hund oder sonst jemanden.
Früher habe ich in solchen Situationen häufig den Fehler begangen, die Parteien versöhnen zu wollen. Aber bis auf das Allmachtsgefühl, das sich kurzzeitig bei mir einstellte, blieb nur umso größere Ernüchterung beim Scheitern all meiner Bemühungen. Also bleibe ich bei dem, was ich kann: Zuhören. Zuhören und Lernen. Januar
Auf der anderen Seite vom alten Mann wohnt eine Familie mit kleinen Kindern. Und sie beschweren sich auch bei mir über ihren Nachbarn, genauer gesagt über seine Katze. Denn die legt so häufig tote Mäuse oder manchmal sogar tote Vögel auf deren Terrasse. Und wenn sie nicht immer den Sandkasten der Kinder verdeckt halten, dann verscharrt die Katze dort ihren Kot. Die Familie möchte keinen Streit mit dem alten Mann und die Kinder lieben die Katze ja auch und graulen sie gerne und spielen mit ihr. Aber im Grunde stört sie es doch, dass der alte Mann seine Katze nicht besser erziehen kann.
Und der alte Mann beschwert sich bei mir, weil seine Katze viel lieber bei den Nachbarn sei. Die Kinder lockten sie doch ständig rüber. Dabei wäre es ihm viel lieber, wenn die Katze bei ihm auf dem Sofa säße. Dann könnte er sie graulen und wäre nicht so allein. Zu ihm kommt sie doch fast nur zum Fressen. Und über den Nachbarn auf der anderen Seite beschwert er sich auch. Der sei ja verrückt, jede freie Minute renne der im Garten rum, zupfe Unkraut. Bei ihm stünden alle Pflanzen stramm wie auf dem Kasernenhof. Keiner dürfe dort über den sorgfältig gerechten Weg laufen. Der Rasen sei mit der Nagelschere getrimmt und fast immer, wenn der alte Mann gemütlich in seinem Garten sitzen wolle, die Zeitung lesen, ein Bierchen trinken, dann lärme unweigerlich da drüben beim Nachbarn irgendein Gerät: Der Rasenmäher, die Heckenschere, der Laubsauger oder sonst eine Höllenmaschine. Es sei doch viel schöner die Natur einfach wachsen zu lassen. Ab und zu mal mähen, hie und da mal vom Obst naschen. Ihm sei das einfach zu anstrengend in seinem Alter noch ständig im Garten zu wühlen. Wo bliebe denn da die Gemütlichkeit?
Jeder erzählt mir seine Geschichte und jede kommt mir völlig einleuchtend vor, jede der drei Parteien hat Recht. Ich werde mich auf keine Seite schlagen. Das einzige was mir einfällt, ist jedem der Drei zu sagen: „Sprecht miteinander, nicht mit mir!“ Wenn das nichts nützt bleibt mir nur, mein Zuhören zu verweigern. Manchmal führt das dazu, dass Menschen miteinander sprechen. Aber meistens weichen sie nur auf einen anderen Zuhörer aus: ihren Friseur, den Pfarrer, ihren Hund oder sonst jemanden.
Früher habe ich in solchen Situationen häufig den Fehler begangen, die Parteien versöhnen zu wollen. Aber bis auf das Allmachtsgefühl, das sich kurzzeitig bei mir einstellte, blieb nur umso größere Ernüchterung beim Scheitern all meiner Bemühungen. Also bleibe ich bei dem, was ich kann: Zuhören. Zuhören und Lernen. Januar
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