... newer stories
Sonntag, 1. Juni 2008
1. Juni - Die Liste
365und1tag, 00:23h
Marie setzte sich eines Abends an ihren Küchentisch, klappte die leicht abwaschbare Tischdecke nach oben weg und öffnete die Schublade. Ja, da zwischen alten Einmachgummis und dem Sammelwerk „Fixe Rezepte für die berufstätige Hausfrau“, lag es das alte Schulheft von Uwe. Marie kramte es hervor, suchte einen Kugelschreiber. War keiner in der Schublade, also noch einmal aufstehen, auf der Telefonbank im Flur am Zettelkasten klemmte einer. Wieder am Küchentisch nahm Marie umständlich Platz und schlug das Heft auf. Auf den ersten paar Seiten waren alte Diktate von Uwe, vierte Klasse. Was der immer gekleckst hatte! Sie schüttelte den Kopf. Zu ihrer Zeit hatte es für Kleckse im Heft noch auf die Pfoten gegeben. Sie blätterte weiter, es folgten einige Aufstellungen von Haushaltsausgaben, die sie eine Zeit lang geführt hatte. Dann eine leere Seite.
Marie strich sie mit der Hand glatt und schrieb in ihrer schönsten Schreibschrift in die Mitte der ersten Zeile „Heinz“, darunter teilte sie die Seite durch eine vertikale Linie in zwei Spalten. In die linke Spalte schrieb sie „Pro“, in die rechte schrieb sie „Contra“. Danach schaute sie einen Augenblick auf die Blümchentapete vor sich, dann schrieb sie in die linke Spalte „handwerklich begabt“, dann in die rechte „zuviel in Kneipe“, dann „Weibergeschichten“, „verschwenderisch“, „interessiert sich nicht für meine Bedürfnisse“, „interessiert sich nicht für unsere Kinder“, „hilft nie im Haushalt“, „lässt sich bedienen“, „ist launisch“. Sie musste die Seite umschlagen und eine neue Spalte mit „Contra“ beginnen. Nachdem sie diese ebenfalls gefüllt hatte, erschrak Marie. Sie blätterte zurück und starrte auf die linke Spalte. Pro. Sie nagte an ihrer Unterlippe, ihr fiel einfach nichts ein, sie kaute am Kugelschreiber, immer noch nichts. Schließlich schrieb sie „sieht gut aus für sein Alter“ und darunter „Sex meistens ok“. Fast eine Minute starrte sie auf die Seite, es musste doch noch etwas Positives geben. Dann zuckte Marie mit den Schultern und zählte alle Punkte in der Spalte „Contra“. Es waren dreiundzwanzig. Dreiundzwanzig Punke, die gegen Heinz sprachen, nur drei für ihn. Die brauchte sie nicht zu zählen. Das war nun doch schlimmer als sie erwartet hatte. Sie klappte das Heft zu, legte den Kugelschreiber in gerader Linie daneben. Dann ging sie ins Schlafzimmer um Heinz’ Koffer zu packen. Juni
Marie strich sie mit der Hand glatt und schrieb in ihrer schönsten Schreibschrift in die Mitte der ersten Zeile „Heinz“, darunter teilte sie die Seite durch eine vertikale Linie in zwei Spalten. In die linke Spalte schrieb sie „Pro“, in die rechte schrieb sie „Contra“. Danach schaute sie einen Augenblick auf die Blümchentapete vor sich, dann schrieb sie in die linke Spalte „handwerklich begabt“, dann in die rechte „zuviel in Kneipe“, dann „Weibergeschichten“, „verschwenderisch“, „interessiert sich nicht für meine Bedürfnisse“, „interessiert sich nicht für unsere Kinder“, „hilft nie im Haushalt“, „lässt sich bedienen“, „ist launisch“. Sie musste die Seite umschlagen und eine neue Spalte mit „Contra“ beginnen. Nachdem sie diese ebenfalls gefüllt hatte, erschrak Marie. Sie blätterte zurück und starrte auf die linke Spalte. Pro. Sie nagte an ihrer Unterlippe, ihr fiel einfach nichts ein, sie kaute am Kugelschreiber, immer noch nichts. Schließlich schrieb sie „sieht gut aus für sein Alter“ und darunter „Sex meistens ok“. Fast eine Minute starrte sie auf die Seite, es musste doch noch etwas Positives geben. Dann zuckte Marie mit den Schultern und zählte alle Punkte in der Spalte „Contra“. Es waren dreiundzwanzig. Dreiundzwanzig Punke, die gegen Heinz sprachen, nur drei für ihn. Die brauchte sie nicht zu zählen. Das war nun doch schlimmer als sie erwartet hatte. Sie klappte das Heft zu, legte den Kugelschreiber in gerader Linie daneben. Dann ging sie ins Schlafzimmer um Heinz’ Koffer zu packen. Juni
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories