Donnerstag, 5. Juni 2008
5. Juni - Marta
Marta guckte gelangweilt. Was der Lehrer da an der Tafel erzählte stimmte doch hinten und vorn nicht. Überhaupt waren diese ganzen Lehrbücher hoffnungslos veraltet. Und alles wurde ohne Rücksicht einfach wiedergekäut, ob es nun schon seit Jahren oder Jahrzehnten wiederlegt war oder nicht. Da war es sogar lehrreicher vor dem Fenster den Kastanien beim Wachsen zuzusehen. Oder die Kästchen im Heft mit lauter kleinen Figuren zu versehen. Ihr Lehrer übersah höflich, dass sie anstatt mitzuschreiben nur kleine Zeichnungen anfertigte. Schließlich hatte sie in jeder Klassenarbeit die besten Noten. Marta konnte nichts dafür. So war sie eben. Sie musste sich noch nicht einmal sehr anstrengen dafür. Sie interessierte sich eben für alles Mögliche und hatte von klein auf über eine große Bibliothek verfügt. Ihre Eltern hatten sie immer in all ihren Interessen unterstützt. Es hatte auch nicht viel geholfen, dass sie eine Klasse übersprungen hatte. Sie langweilte sich immer noch im Unterricht und wurde nun auch noch von ihren neuen Mitschülern gehasst. Wahrscheinlich weil sie sich nicht einmal anstrengen musste, um auch in dieser Klassenstufe die Beste zu sein. Marta war daran gewöhnt anders zu sein. Mit der Einsamkeit kam sie klar. Sie störte nur, dass sie trotz all ihrer Intelligenz noch keinen Weg gefunden hatte, der Welt ihre Erkenntnisse mitzuteilen. Marta wurde zwar wie ein Wundertier vorgeführt, angeblich sogar gefördert. Aber sie merkte, dass sie in einer derartig anderen Welt lebte, dass sie sich kaum noch mit anderen Menschen verständigen konnte. Plötzlich hörte Marta auf zu zeichnen. Jetzt wusste sie, was sie tun musste. Sie packte ihre Tasche, stand auf und ging zur Tür. „Wo willst Du hin?“, fragte der Lehrer. Marta blieb die Hand auf der Klinke stehen. Tausend Antwortmöglichkeiten schossen ihr durch den Kopf. Alle waren anmaßend und überheblich. Schließlich sagte sie: „Ich muss mir endlich einen Lehrer suchen, der mir noch etwas beibringen kann.“ Betretenes Schweigen. Im Gesicht des Lehrers entgleiste etwas. Die Schüler in der Klasse duckten sich in ihren Bänken und hielten gespannt den Atem an. Schließlich fasste sich der Lehrer. „Ja, das ist sicher besser“, sagte er mit fester Stimme und nickte Marta zum Abschied zu. Leise drückte sie die Tür hinter sich ins Schloss und wusste zum allerersten Mal im Leben nichts mehr. Juni

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