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Montag, 14. Juli 2008
14. Juli - Blind Date
365und1tag, 02:17h
„Warst Du jemals in einer Leichenhalle?“, fragt mich Michael und rührt in seinem Cappuccino. Sein Augenaufschlag bei dieser Frage haut mich um. Solche tiefen, braunen Augen haben mich noch nie angeblickt. Darin könnte ich baden, aufgehen, sie ausschlürfen wie den Kakao, der vor mir in einer großen, weißen Tasse dampft.
„Äh, wie bitte?“, frage ich verwirrt nach einer peinlich langen Pause und rühre meinerseits in meinem Heißgetränk.
„Ob Du schonmal in einer Leichenhalle warst?“, sagt er.
„Hm, nö“, lüge ich. Was ist das denn für eine Frage beim ersten Date? Aber diese Augen, schon wieder kann ich mich kaum losreißen. Zum Glück schaut Michael jetzt in eine andere Richtung und ich kann meinen Blick diskret nach unten wandern lassen. Ich gebe zu, mir gefällt, was ich da sehe. Gepflegt der Mann und gut gekleidet, auch gut gebaut, soweit ich das erkennen kann. Und seine Stimme, sehr angenehm, wenn sie mich nicht nach Leichenhallen fragen würde. Was für eine Idee, mich so etwas zu fragen. Ich rühre wieder, um mich zu sammeln. Der Kakao muss langsam kalt sein.
Dann erzählt er, dass er vor kurzem das erste Mal in einer Leichenhalle gewesen sei. Eigentlich nur in einem Besucherraum. Denn die ganze Halle, wo die Leute wohlmöglich aufgeschnitten würden, wo es vielleicht bis an die Decke weiß gekachelt sei wie beim Metzger, wie im Schlachthaus, da wäre er selbstverständlich auch nicht gewesen. Außerdem wolle er sich das gar nicht vorstellen. Nein, lieber nicht.
Nun, schön, denke ich, aber jetzt stelle ich mir das vor. Meine Hand legt automatisch den Löffel auf der Untertasse ab und schiebt den Kakao weit fort von mir. Ein letztes Mal versuche ich mich in seine tiefbraunen Augen zu versenken. Aber sie haben ihre Magie verloren. Ich sehe nur noch weiß gekachelt vor mir, bis unter die Decke.
Er mache da nämlich so einen Kurs, fährt Michael fort, bei der Volkshochschule, um sich mit dem Thema Tod anzufreunden. Das beträfe ja schließlich jeden, irgendwann, und würde in unserer Gesellschaft doch ausgeblendet, totgeschwiegen sozusagen.
Ha, denke ich, wie passend. Und dann denke ich an die Prosectur und den süßlichen Geruch des Todes, der mir immer noch manchmal in die Nase steigt. Vor allem wenn ich zu schnell auf der Autobahn unterwegs bin. Und dann denke ich an kalte Haut, so kalt wie keines Menschen Haut sich jemals anfühlen sollte. Und ich denke daran, wie unterdrückte Emotionen sich in einem kleinen Raum anstauen können, bis die Kehle zugeschnürt ist. Und ich denke daran, wie ich plötzlich erst im Tod sehen konnte, dass mein Mann viel größer war als er mir lebend immer erschien. Lange konnte ich über nichts anderes reden. Über den Verlust. Über ihn. Über alles, was ich vermisse und noch erleben wollte. Meine Freundinnen haben mich bekniet, mich wieder ins Leben zu stürzen. Meine Schwester schließlich hatte mich überredet, mich mit Michael zu treffen, einem ihrer Arbeitskollegen.
Er sei so sensibel und gutaussehend. Und ich war doch nach der langen Zeit mehr als bereit dazu wenigstens für diesen Nachmittag alles zu vergessen. Vielleicht hätte sie ihm sagen sollen, dass ich vor 26 Monaten und vier Tagen meinen Mann verloren habe. Oder sie hat es ihm gesagt, fällt mir ein. Vielleicht ist Michael gründlich und hat sich deshalb bei der Volkshochschule eingeschrieben. Mir ist der Appetit trotzdem vergangen. Nicht nur nach dem Kakao. Juli
„Äh, wie bitte?“, frage ich verwirrt nach einer peinlich langen Pause und rühre meinerseits in meinem Heißgetränk.
„Ob Du schonmal in einer Leichenhalle warst?“, sagt er.
„Hm, nö“, lüge ich. Was ist das denn für eine Frage beim ersten Date? Aber diese Augen, schon wieder kann ich mich kaum losreißen. Zum Glück schaut Michael jetzt in eine andere Richtung und ich kann meinen Blick diskret nach unten wandern lassen. Ich gebe zu, mir gefällt, was ich da sehe. Gepflegt der Mann und gut gekleidet, auch gut gebaut, soweit ich das erkennen kann. Und seine Stimme, sehr angenehm, wenn sie mich nicht nach Leichenhallen fragen würde. Was für eine Idee, mich so etwas zu fragen. Ich rühre wieder, um mich zu sammeln. Der Kakao muss langsam kalt sein.
Dann erzählt er, dass er vor kurzem das erste Mal in einer Leichenhalle gewesen sei. Eigentlich nur in einem Besucherraum. Denn die ganze Halle, wo die Leute wohlmöglich aufgeschnitten würden, wo es vielleicht bis an die Decke weiß gekachelt sei wie beim Metzger, wie im Schlachthaus, da wäre er selbstverständlich auch nicht gewesen. Außerdem wolle er sich das gar nicht vorstellen. Nein, lieber nicht.
Nun, schön, denke ich, aber jetzt stelle ich mir das vor. Meine Hand legt automatisch den Löffel auf der Untertasse ab und schiebt den Kakao weit fort von mir. Ein letztes Mal versuche ich mich in seine tiefbraunen Augen zu versenken. Aber sie haben ihre Magie verloren. Ich sehe nur noch weiß gekachelt vor mir, bis unter die Decke.
Er mache da nämlich so einen Kurs, fährt Michael fort, bei der Volkshochschule, um sich mit dem Thema Tod anzufreunden. Das beträfe ja schließlich jeden, irgendwann, und würde in unserer Gesellschaft doch ausgeblendet, totgeschwiegen sozusagen.
Ha, denke ich, wie passend. Und dann denke ich an die Prosectur und den süßlichen Geruch des Todes, der mir immer noch manchmal in die Nase steigt. Vor allem wenn ich zu schnell auf der Autobahn unterwegs bin. Und dann denke ich an kalte Haut, so kalt wie keines Menschen Haut sich jemals anfühlen sollte. Und ich denke daran, wie unterdrückte Emotionen sich in einem kleinen Raum anstauen können, bis die Kehle zugeschnürt ist. Und ich denke daran, wie ich plötzlich erst im Tod sehen konnte, dass mein Mann viel größer war als er mir lebend immer erschien. Lange konnte ich über nichts anderes reden. Über den Verlust. Über ihn. Über alles, was ich vermisse und noch erleben wollte. Meine Freundinnen haben mich bekniet, mich wieder ins Leben zu stürzen. Meine Schwester schließlich hatte mich überredet, mich mit Michael zu treffen, einem ihrer Arbeitskollegen.
Er sei so sensibel und gutaussehend. Und ich war doch nach der langen Zeit mehr als bereit dazu wenigstens für diesen Nachmittag alles zu vergessen. Vielleicht hätte sie ihm sagen sollen, dass ich vor 26 Monaten und vier Tagen meinen Mann verloren habe. Oder sie hat es ihm gesagt, fällt mir ein. Vielleicht ist Michael gründlich und hat sich deshalb bei der Volkshochschule eingeschrieben. Mir ist der Appetit trotzdem vergangen. Nicht nur nach dem Kakao. Juli
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Sonntag, 13. Juli 2008
13. Juli - Der Glückshut
365und1tag, 14:52h
Frank hatte einen Hut, der ihm Glück brachte. Immer wenn er ihn aufhatte gelangen ihm die unmöglichsten Dinge. Wenn er ihn abnahm war es damit vorbei, dann war er wieder genauso von Pech verfolgt wie sonst auch.
Also hatte sich Frank angewöhnt, immer und überall seinen Hut aufzubehalten, sogar im Schlaf. Schließlich wollte er auch glückliche Träume haben. Aber ab und zu musste er natürlich mal duschen oder er wollte mal ins Kino, da störte so ein Hut selbstverständlich. Nur was sollte er machen? Also ging er nicht mehr ins Kino und badete lieber anstatt zu duschen. Beim Haarewaschen nahm er nur ganz kurz den Hut ab und im Liegen konnte er ja weder ausrutschen noch konnte plötzlich das Wasser eiskalt werden – alles Dinge, die ihm in der Dusche ohne Hut ständig widerfahren waren. Seine Freundin fand das natürlich überhaupt nicht lustig und als Frank sich weigerte den Hut endlich abzunehmen, da zog seine Freundin aus.
Aber das war ein großes Glück. Denn so konnte Frank jemand anderen kennenlernen und diese Frau fand ihn ja gerade richtig toll mit Hut. Dem Hut verdankte Frank einen besseren Job, eine größere Wohnung und ein glücklichers Leben. Irgendwann aber war der Hut ziemlich alt und zerschlissen. Er sah schon ziemlich schäbig auf Franks Kopf aus. Der war zwar auch nicht mehr der jüngste, aber der schäbige Hut fiel doch langsam unangenehm auf. Da hatte Frank ein großes Problem. Er konnte sich doch nicht von seinem Glück trennen! Wie sollte er denn wieder mit dem alltäglichen Pech und Ärger klarkommen? Er hatte keine Lust auf rote Ampeln, einen schlechten Platz im Restaurant, überteuerte Urlaubsreisen, eine nörgelnde Ehefrau, sitzenbleibende Kinder, langjährige Arbeitslosigkeit, reißende Schnürsenkel, kaputte Autoreifen, schleichende Krankheit oder herabfallende Dachziegel. Und das waren die Unglücksfälle, an die er sich noch dunkel erinnern konnte, was war mit all dem Pech, das ihn unvorbereitet treffen würde? Nein, nein. Der Hut musste einfach bleiben.
Schließlich fand Frank einen Spezialisten für die Aufarbeitung und Imprägnierung alter Hüte. Nach langem Bitten kam er zu Frank ins Haus und rettete seinen Hut. Er musste ihn dafür nur ganz kurz für fünf Minuten vom Kopf nehmen. Aber das reichte dann schon, dass ihn eine Wespe ins Augenlid stoch. Sobald Frank den Hut wieder aufhatte, schwoll sein Augenlid wieder ab und alles war wieder in bester Ordnung. Irgendwann waren Franks Kinder groß und er selbst war unter seinem Glückshut langsam alt geworden. Seine Enkel besuchten ihn und kannten ihn nur als Opa mit dem Glückshut. Besonders gerne saßen sie auf seinem Knie und ließen sich die phantastischen Geschichten seines immerwährenden Glückes erzählen. „Opa, hast du immer grüne Ampeln“, krähten sie dann ungläubig, „und immer genug Eis, soviel du nur essen willst?“ Und Frank nickte nur. Und dann eines Morgens wachte Frank nicht mehr auf, der Hut war ihm im Schlaf vom Kopf gekullert und lag neben dem Bett auf dem Fußboden. Seine Frau setzte ihm den Hut wieder auf als sie Frank leblos fand. Aber das brachte ihn nicht mehr zurück. Vielleicht war auch das ein Glück. Juli
Also hatte sich Frank angewöhnt, immer und überall seinen Hut aufzubehalten, sogar im Schlaf. Schließlich wollte er auch glückliche Träume haben. Aber ab und zu musste er natürlich mal duschen oder er wollte mal ins Kino, da störte so ein Hut selbstverständlich. Nur was sollte er machen? Also ging er nicht mehr ins Kino und badete lieber anstatt zu duschen. Beim Haarewaschen nahm er nur ganz kurz den Hut ab und im Liegen konnte er ja weder ausrutschen noch konnte plötzlich das Wasser eiskalt werden – alles Dinge, die ihm in der Dusche ohne Hut ständig widerfahren waren. Seine Freundin fand das natürlich überhaupt nicht lustig und als Frank sich weigerte den Hut endlich abzunehmen, da zog seine Freundin aus.
Aber das war ein großes Glück. Denn so konnte Frank jemand anderen kennenlernen und diese Frau fand ihn ja gerade richtig toll mit Hut. Dem Hut verdankte Frank einen besseren Job, eine größere Wohnung und ein glücklichers Leben. Irgendwann aber war der Hut ziemlich alt und zerschlissen. Er sah schon ziemlich schäbig auf Franks Kopf aus. Der war zwar auch nicht mehr der jüngste, aber der schäbige Hut fiel doch langsam unangenehm auf. Da hatte Frank ein großes Problem. Er konnte sich doch nicht von seinem Glück trennen! Wie sollte er denn wieder mit dem alltäglichen Pech und Ärger klarkommen? Er hatte keine Lust auf rote Ampeln, einen schlechten Platz im Restaurant, überteuerte Urlaubsreisen, eine nörgelnde Ehefrau, sitzenbleibende Kinder, langjährige Arbeitslosigkeit, reißende Schnürsenkel, kaputte Autoreifen, schleichende Krankheit oder herabfallende Dachziegel. Und das waren die Unglücksfälle, an die er sich noch dunkel erinnern konnte, was war mit all dem Pech, das ihn unvorbereitet treffen würde? Nein, nein. Der Hut musste einfach bleiben.
Schließlich fand Frank einen Spezialisten für die Aufarbeitung und Imprägnierung alter Hüte. Nach langem Bitten kam er zu Frank ins Haus und rettete seinen Hut. Er musste ihn dafür nur ganz kurz für fünf Minuten vom Kopf nehmen. Aber das reichte dann schon, dass ihn eine Wespe ins Augenlid stoch. Sobald Frank den Hut wieder aufhatte, schwoll sein Augenlid wieder ab und alles war wieder in bester Ordnung. Irgendwann waren Franks Kinder groß und er selbst war unter seinem Glückshut langsam alt geworden. Seine Enkel besuchten ihn und kannten ihn nur als Opa mit dem Glückshut. Besonders gerne saßen sie auf seinem Knie und ließen sich die phantastischen Geschichten seines immerwährenden Glückes erzählen. „Opa, hast du immer grüne Ampeln“, krähten sie dann ungläubig, „und immer genug Eis, soviel du nur essen willst?“ Und Frank nickte nur. Und dann eines Morgens wachte Frank nicht mehr auf, der Hut war ihm im Schlaf vom Kopf gekullert und lag neben dem Bett auf dem Fußboden. Seine Frau setzte ihm den Hut wieder auf als sie Frank leblos fand. Aber das brachte ihn nicht mehr zurück. Vielleicht war auch das ein Glück. Juli
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Samstag, 12. Juli 2008
12. Juli - Der Garten
365und1tag, 19:44h
Eine kleine Fee flog gemütlich durch den Garten, an den Apfelbäumen vorbei, kreiste einen Moment über dem Holunderbusch und ließ sich dann auf einem abgesägten Baumstamm nieder. Diesen Garten hier fand sie nett, weil er ein bisschen verwildert und voller Bäume, Büsche und Blumen war. Nicht so wie in den umliegenden Gärten, wo die Beete abgezirkelt und die Möhren und Bohnen in Reih und Glied standen. Sogar die Blumen mussten alle gleich aussehen.
Nein, da summte die kleine Fee lieber in diesem schönen verwunschenen Garten herum. Früher war manchmal eine alte Frau aus dem Haus gekommen und hatte im Garten gearbeitet. Aber immer hatte sie darauf geachtet, dass der verwilderte Charme nicht verloren ging. Aber heute war etwas anders, das Haus lag wie verlassen da. Im Garten brummten und summten die Hummeln und Bienen. Ein Zaunkönig sang sein eintöniges Lied als wäre alles wie immer. Da spürte die kleine Fee, dass etwas nicht stimmte. Bald würde der Garten brach liegen, die alte Frau würde nicht mehr wiederkommen. Und die kleine Fee wird einen neuen verwunschenen Platz suchen müssen. Juli
Nein, da summte die kleine Fee lieber in diesem schönen verwunschenen Garten herum. Früher war manchmal eine alte Frau aus dem Haus gekommen und hatte im Garten gearbeitet. Aber immer hatte sie darauf geachtet, dass der verwilderte Charme nicht verloren ging. Aber heute war etwas anders, das Haus lag wie verlassen da. Im Garten brummten und summten die Hummeln und Bienen. Ein Zaunkönig sang sein eintöniges Lied als wäre alles wie immer. Da spürte die kleine Fee, dass etwas nicht stimmte. Bald würde der Garten brach liegen, die alte Frau würde nicht mehr wiederkommen. Und die kleine Fee wird einen neuen verwunschenen Platz suchen müssen. Juli
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