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Freitag, 4. Juli 2008
4. Juli - Berenica Cruz
365und1tag, 04:56h
Berenica Cruz war eine wunderschöne Frau, glutäugig, schwarzhaarig, volle Lippen, üppige Figur. Wenn sie sich von Weitem näherte verkörperte sie ganz und gar das Ideal einer schönen Spanierin, die sie schließlich auch war. Nur aus der Nähe verlor sie plötzlich und unerwartet. Das lag an Details.
Berenica gab einem die Hand so nachlässig und lasch, dass sie wie ein toter Fisch schnell losgelassen werden musste. Auch ihre Sprache ließ das Temperament vermissen, dass ihr Aussehen versprach. Ihre Stimme war sehr leise und hoch. Und auch ihr Lachen schallte nicht durch den Raum sondern war nur ein glucksendes Kichern hinter vorgehaltener Hand. Überhaupt war Berenica sehr schüchtern und froh, wenn sie nicht angesprochen wurde. Aber genau das geschah natürlich unentwegt. Vor allem Männer sprachen sie an, wollten sie einladen auf einen Kaffee, auf einen Wein, zum Frühstück. Sie hatte sich schon alle erdenklichen schönen, romantischen, plumpen oder langweiligen Anmachsprüche anhören müssen. Aber kaum hörten die Männer sie höflich ablehnen, fühlten wie sie ihnen die Hand reichte oder erlebten ihr glucksendes Kichern, erlosch ihr Interesse auf merkwürdige Weise.
So kam es, dass Berenica zu den Frauen gehörte, denen immer gesagt wurde: „Warum eine Frau wie Du noch keinen Mann abgekriegt hast, ist mir unverständlich“. Und irgendwann hatte es Berenica satt. Eigentlich wollte sie nicht unbedingt einen Mann kennenlernen. Warum das so wichtig sein sollte, war ihr ohnehin rätselhaft. Aber sie wollte unbedingt zu sich selbst passen. Entweder also musste die glutäugige Spanierin dran glauben oder sie musste die Schüchternheit, den laschen Händedruck, das alberne Kichern und die piepsige Stimme ablegen. Die Schwierigkeit bestand darin zu entscheiden, wer sie denn nun eigentlich war. Also ging Berenica zu einer Hexe, einer Wahrsagerin. Eine Freundin hatte sie ihr empfohlen.
Die Frau war alt und weißhaarig. Als Berenica in ihre Stube trat, paffte die Alte gerade an einer dicken Zigarre. Auf dem Tisch vor ihr stand noch eine Untertasse mit Kaffeesatz, von der letzten Kundin übriggeblieben. Ein Stapel Tarotkarten lag vor einem kristallenen Aschenbecher, der mit dicken Zigarrenstumpen bis zum Rand gefüllt war. Zweihundert Euro verlangte die Wahrsagerin. Und obwohl ihr dieser Betrag viel zu hoch erschien, zog Berenica die Scheine mit zitternden Fingern aus ihrem Portemonnaie und schob sie über den Tisch der Alten zu. Die zählte noch einmal nach und schob das Geld in ihre Rocktasche. Dann hieß sie Berenica sich hinsetzten, nahm selbst Platz. Gab Berenica die Karten zum Mischen.
„Mit der Herzhand! Konzentrier Dich auf Deine Frage“, befahl sie knapp.
Berenica wechselte die Karten in die linke Hand. Schließlich legte sie den gemischten Stapel wieder zurück auf den Tisch. Die Wahrsagerin nahm sie und deckte die erste Karte auf und legte sie auf den Tisch. Sie zeigte den Teufel. Dann folgte als zweite Karte der Gehängte, als dritte das Gericht. Die Wahrsagerin paffte an ihrer Zigarre und sagte lange Zeit nichts. Berenica wurde es unbehaglich zumute. Sie räusperte sich. Aber immer noch schwieg die Wahrsagerin. Berenica rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Besonders gut sah das doch nicht aus. Warum sagte die Wahrsagerin denn nichts? Schließlich drückte die Alte den Stumpen im Aschenbecher aus, seufzte noch einmal behaglich.
„Armes Kind“, sagte sie dann, „in der Vergangenheit warst Du gefangen in einem schönen Leib mit einer ängstlichen Seele ohne Selbstvertrauen und Selbstliebe. Nun beginnst Du einen Prozeß der Loslösung. Die Widersprüche werden unwichtig. Das ist schmerzhaft aber gut. Denn in Zukunft wirst Du Dein Leiden überwinden und ein völlig neuer Mensch sein.“
Berenica war sprachlos, ihr stand der Mund offen. Endlich fasste sie sich und sagte: „Und das war’s? Ich meine, das war alles, was sie mir für 200 Euro zu sagen haben? Da kann ja meine Mutter besser wahrsagen!“
Die Alte lehnte sich zurück und strahlte Berenica an. „Die Zukunft hat bereits begonnen“.
„Unverschämtheit!“, brüllte Berenica und pfefferte den Aschenbecher an die Wand. Sie sprang auf und drohte der Alten mit dem Finger: „Sie hören von mir!“
Dann rauschte sie auf die Straße und eilte zur nächsten Bushaltestelle. Kaum hatte sie dort 30 Sekunden gewartet, sprach sie ein Mann an: „Ihre Augen glitzern wie die hellsten Sterne, Signorina, bitte gehen sie mit mir einen Kaffee trinken“. Berenica holte aus und gab dem Kerl eine Backpfeife. Nun funkelten ihre Augen wirklich wie Sterne. Und obwohl ihre Hand schmerzte, begann sie zu lächeln. Was war nur mit ihr geschehen, sie kannte sich selbst kaum wieder. Berenica hatte zwar keine Ahnung, was diese Wahrsagerin mit ihr gemacht hatte, aber wenn sie wirklich diese Veränderung bewirkt hatte, dann hatte sie 2000 Euro verdient. Juli
Berenica gab einem die Hand so nachlässig und lasch, dass sie wie ein toter Fisch schnell losgelassen werden musste. Auch ihre Sprache ließ das Temperament vermissen, dass ihr Aussehen versprach. Ihre Stimme war sehr leise und hoch. Und auch ihr Lachen schallte nicht durch den Raum sondern war nur ein glucksendes Kichern hinter vorgehaltener Hand. Überhaupt war Berenica sehr schüchtern und froh, wenn sie nicht angesprochen wurde. Aber genau das geschah natürlich unentwegt. Vor allem Männer sprachen sie an, wollten sie einladen auf einen Kaffee, auf einen Wein, zum Frühstück. Sie hatte sich schon alle erdenklichen schönen, romantischen, plumpen oder langweiligen Anmachsprüche anhören müssen. Aber kaum hörten die Männer sie höflich ablehnen, fühlten wie sie ihnen die Hand reichte oder erlebten ihr glucksendes Kichern, erlosch ihr Interesse auf merkwürdige Weise.
So kam es, dass Berenica zu den Frauen gehörte, denen immer gesagt wurde: „Warum eine Frau wie Du noch keinen Mann abgekriegt hast, ist mir unverständlich“. Und irgendwann hatte es Berenica satt. Eigentlich wollte sie nicht unbedingt einen Mann kennenlernen. Warum das so wichtig sein sollte, war ihr ohnehin rätselhaft. Aber sie wollte unbedingt zu sich selbst passen. Entweder also musste die glutäugige Spanierin dran glauben oder sie musste die Schüchternheit, den laschen Händedruck, das alberne Kichern und die piepsige Stimme ablegen. Die Schwierigkeit bestand darin zu entscheiden, wer sie denn nun eigentlich war. Also ging Berenica zu einer Hexe, einer Wahrsagerin. Eine Freundin hatte sie ihr empfohlen.
Die Frau war alt und weißhaarig. Als Berenica in ihre Stube trat, paffte die Alte gerade an einer dicken Zigarre. Auf dem Tisch vor ihr stand noch eine Untertasse mit Kaffeesatz, von der letzten Kundin übriggeblieben. Ein Stapel Tarotkarten lag vor einem kristallenen Aschenbecher, der mit dicken Zigarrenstumpen bis zum Rand gefüllt war. Zweihundert Euro verlangte die Wahrsagerin. Und obwohl ihr dieser Betrag viel zu hoch erschien, zog Berenica die Scheine mit zitternden Fingern aus ihrem Portemonnaie und schob sie über den Tisch der Alten zu. Die zählte noch einmal nach und schob das Geld in ihre Rocktasche. Dann hieß sie Berenica sich hinsetzten, nahm selbst Platz. Gab Berenica die Karten zum Mischen.
„Mit der Herzhand! Konzentrier Dich auf Deine Frage“, befahl sie knapp.
Berenica wechselte die Karten in die linke Hand. Schließlich legte sie den gemischten Stapel wieder zurück auf den Tisch. Die Wahrsagerin nahm sie und deckte die erste Karte auf und legte sie auf den Tisch. Sie zeigte den Teufel. Dann folgte als zweite Karte der Gehängte, als dritte das Gericht. Die Wahrsagerin paffte an ihrer Zigarre und sagte lange Zeit nichts. Berenica wurde es unbehaglich zumute. Sie räusperte sich. Aber immer noch schwieg die Wahrsagerin. Berenica rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Besonders gut sah das doch nicht aus. Warum sagte die Wahrsagerin denn nichts? Schließlich drückte die Alte den Stumpen im Aschenbecher aus, seufzte noch einmal behaglich.
„Armes Kind“, sagte sie dann, „in der Vergangenheit warst Du gefangen in einem schönen Leib mit einer ängstlichen Seele ohne Selbstvertrauen und Selbstliebe. Nun beginnst Du einen Prozeß der Loslösung. Die Widersprüche werden unwichtig. Das ist schmerzhaft aber gut. Denn in Zukunft wirst Du Dein Leiden überwinden und ein völlig neuer Mensch sein.“
Berenica war sprachlos, ihr stand der Mund offen. Endlich fasste sie sich und sagte: „Und das war’s? Ich meine, das war alles, was sie mir für 200 Euro zu sagen haben? Da kann ja meine Mutter besser wahrsagen!“
Die Alte lehnte sich zurück und strahlte Berenica an. „Die Zukunft hat bereits begonnen“.
„Unverschämtheit!“, brüllte Berenica und pfefferte den Aschenbecher an die Wand. Sie sprang auf und drohte der Alten mit dem Finger: „Sie hören von mir!“
Dann rauschte sie auf die Straße und eilte zur nächsten Bushaltestelle. Kaum hatte sie dort 30 Sekunden gewartet, sprach sie ein Mann an: „Ihre Augen glitzern wie die hellsten Sterne, Signorina, bitte gehen sie mit mir einen Kaffee trinken“. Berenica holte aus und gab dem Kerl eine Backpfeife. Nun funkelten ihre Augen wirklich wie Sterne. Und obwohl ihre Hand schmerzte, begann sie zu lächeln. Was war nur mit ihr geschehen, sie kannte sich selbst kaum wieder. Berenica hatte zwar keine Ahnung, was diese Wahrsagerin mit ihr gemacht hatte, aber wenn sie wirklich diese Veränderung bewirkt hatte, dann hatte sie 2000 Euro verdient. Juli
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Donnerstag, 3. Juli 2008
3. Juli - Hitzefrei
365und1tag, 03:53h
Grüne Freunde winken mir von der anderen Straßenseite mit ihren Ästen zu und der Eisverkäufer fährt hupend um die Ecke. Hitze staut sich in den Winkeln, stapelt sich auf zu großen Bergen.
Der kleine Tschilp ist heute zu träge. Verstummt ist sein eintöniges Lied. Nur die Hummeln sind fleißig wie immer. Sommer, Langsamkeit, Trägheit und Hitze. Ein paar Grad mehr und der Asphalt wird zäh unter den Fußsohlen. Die Steine sind bereits zu heiß, um barfuß darauf zu gehen.
Heute ist einer der beiden Tage im Jahr, wo ich ernsthaft darüber nachdenke, ob ein Swimmingpool im Garten nicht doch eine lohnende Investiton wäre. Nach der Markise über dem Balkon und den Liegestühlen und einem anständigen Tisch mit Stühlen, damit unsere Gäste nicht immer auf den alten Biergartenstühlen hocken müssen, versteht sich.
Aber dann liege ich so schön in meiner Hängematte. Warum sich mit Besitzt belasten? Mir genügt doch diese eine Hängematte im Schatten unter den Apfelbäumen aufgespannt. Und hätte ich sie nicht, dann läge ich im Gras und schaute den Wolken zu. Das reicht doch an so einem schönen Sommertag vollkommen. Juli
Der kleine Tschilp ist heute zu träge. Verstummt ist sein eintöniges Lied. Nur die Hummeln sind fleißig wie immer. Sommer, Langsamkeit, Trägheit und Hitze. Ein paar Grad mehr und der Asphalt wird zäh unter den Fußsohlen. Die Steine sind bereits zu heiß, um barfuß darauf zu gehen.
Heute ist einer der beiden Tage im Jahr, wo ich ernsthaft darüber nachdenke, ob ein Swimmingpool im Garten nicht doch eine lohnende Investiton wäre. Nach der Markise über dem Balkon und den Liegestühlen und einem anständigen Tisch mit Stühlen, damit unsere Gäste nicht immer auf den alten Biergartenstühlen hocken müssen, versteht sich.
Aber dann liege ich so schön in meiner Hängematte. Warum sich mit Besitzt belasten? Mir genügt doch diese eine Hängematte im Schatten unter den Apfelbäumen aufgespannt. Und hätte ich sie nicht, dann läge ich im Gras und schaute den Wolken zu. Das reicht doch an so einem schönen Sommertag vollkommen. Juli
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Mittwoch, 2. Juli 2008
2. Juli - Am Bahnhof
365und1tag, 03:11h
Steht da wie ein Depp. Die Blumen sind bereits welk. Wartet und wartet immer noch. Am Siebenundzwanzigsten um dreizehn Uhr dreißig. Das hatte sie gesagt am Telefon. Sie hatte auch gesagt am Hauptbahnhof, Gleis Sechzehn.
Also stand er seit kurz vor Halbzwei am Hauptbahnhof, Gleis Sechzehn. Aber keine Julia. Der Zug war eingefahren und er hatte erwartungsvoll die Reisenden gemustert, die ihm am Bahnsteig entgegenkamen. Es waren sehr viele Reisende. Der Zug endete hier. Als auch die letzte Großmutter mit ihrem Rollkoffer vorbeigezuckelt und immer noch keine Julia in Sicht war, ging er am Zug entlang und spähte in die Waggons. Keine Julia. Ganz vorn stieg er ein und lief durch den Zug zurück. Keine Julia. Also stand er wieder am Gleis, die Blumen immer noch in der Hand. Vielleicht hatte sie einen Zug später genommen. Er schaute auf den Plan. In zwei Stunden würde der nächste Zug erst eintreffen. Einen Augenblick bedauerte er, dass er so ein Handyhasser war. Er besaß nämlich keins.
Also machte er sich auf die Suche nach einer Telefonzelle. Die sahen natürlich heute gar nicht mehr aus wie Zellen, mehr so wie Muscheln. Als er eine fand, nahm der Apparat nur Telefonkarten. Also suchte er weiter. Schließlich fand er ein Telefon, das er mit Kleingeld füttern konnte. In seinem Portemonnaie fand er nur noch ein Euro und zehn Cent. Sein letztes Kleingeld war für die Blumen draufgegangen. Auch das bedauerte er jetzt. Er tippte die Nummer von Julias Mobiltelefon ein. Julia war ja modern. Sie besaß so etwas. Aber sie ging nicht ran. Er wollte eine kurze Nachricht auf ihrer Mailbox hinterlassen. Aber was nutzte das? Sie konnte ihn sowieso nicht erreichen. Außerdem, wie sähe das aus? So eine alberne Nachricht im Stile von, ich stehe am Bahnhof und du bist nicht da. Er kam sich sowieso schon vor wie ein Idiot. Als er die Blumen wieder vom Münzfernsprecher nahm, hatte die erste einen Knick.
Jetzt war es ohnehin so spät, dass der nächste Zug gleich einfahren musste. Er ging zurück zu Gleis Sechzehn. Er wartete. Es begann wieder das gleiche Spiel. Keine Julia. Er suchte im Zug. Keine Julia. Dann dachte er, vielleicht haben wir uns verpasst und ging zur Information. Er ließ Julia ausrufen. Er wartete wieder, lief aufgeregt hin und her. Einige der Blumen hatten ein paar Blütenblätter eingebüßt. Überhaupt, der Strauß wurde wirklich langsam welk. Und immer noch keine Julia. Der Zug aus M. fuhr planmäßig alle zwei Stunden ein. Da er nun solange gewartet hatte, beschloss er auch den nächsten noch abzuwarten. Aber auch diesmal, keine Julia. Schließlich gab er auf. Julia kam nicht. Sie hatte ihn einfach vergessen. Vielleicht hatte sie etwas Besseres vor.
Steht da wie ein Depp. Die Blumen sind bereits welk. Er wirft sie in einen Mülleimer. Es dauert ewig, bis endlich eine Straßenbahn in seine Richtung kommt. Aber eine Stunde später schließt er endlich die Tür zu seiner Wohnung auf. Am Spiegel im Flur klemmt ein großer handgeschriebener Zettel. Julia, Hauptbahnhof, Achtundzwanzigster, Dreizehn Uhr dreißig. Verfluchter Mist, sie kommt ja erst Morgen. Und er hat den Blumenstrauß schon weggeworfen. Juli
Also stand er seit kurz vor Halbzwei am Hauptbahnhof, Gleis Sechzehn. Aber keine Julia. Der Zug war eingefahren und er hatte erwartungsvoll die Reisenden gemustert, die ihm am Bahnsteig entgegenkamen. Es waren sehr viele Reisende. Der Zug endete hier. Als auch die letzte Großmutter mit ihrem Rollkoffer vorbeigezuckelt und immer noch keine Julia in Sicht war, ging er am Zug entlang und spähte in die Waggons. Keine Julia. Ganz vorn stieg er ein und lief durch den Zug zurück. Keine Julia. Also stand er wieder am Gleis, die Blumen immer noch in der Hand. Vielleicht hatte sie einen Zug später genommen. Er schaute auf den Plan. In zwei Stunden würde der nächste Zug erst eintreffen. Einen Augenblick bedauerte er, dass er so ein Handyhasser war. Er besaß nämlich keins.
Also machte er sich auf die Suche nach einer Telefonzelle. Die sahen natürlich heute gar nicht mehr aus wie Zellen, mehr so wie Muscheln. Als er eine fand, nahm der Apparat nur Telefonkarten. Also suchte er weiter. Schließlich fand er ein Telefon, das er mit Kleingeld füttern konnte. In seinem Portemonnaie fand er nur noch ein Euro und zehn Cent. Sein letztes Kleingeld war für die Blumen draufgegangen. Auch das bedauerte er jetzt. Er tippte die Nummer von Julias Mobiltelefon ein. Julia war ja modern. Sie besaß so etwas. Aber sie ging nicht ran. Er wollte eine kurze Nachricht auf ihrer Mailbox hinterlassen. Aber was nutzte das? Sie konnte ihn sowieso nicht erreichen. Außerdem, wie sähe das aus? So eine alberne Nachricht im Stile von, ich stehe am Bahnhof und du bist nicht da. Er kam sich sowieso schon vor wie ein Idiot. Als er die Blumen wieder vom Münzfernsprecher nahm, hatte die erste einen Knick.
Jetzt war es ohnehin so spät, dass der nächste Zug gleich einfahren musste. Er ging zurück zu Gleis Sechzehn. Er wartete. Es begann wieder das gleiche Spiel. Keine Julia. Er suchte im Zug. Keine Julia. Dann dachte er, vielleicht haben wir uns verpasst und ging zur Information. Er ließ Julia ausrufen. Er wartete wieder, lief aufgeregt hin und her. Einige der Blumen hatten ein paar Blütenblätter eingebüßt. Überhaupt, der Strauß wurde wirklich langsam welk. Und immer noch keine Julia. Der Zug aus M. fuhr planmäßig alle zwei Stunden ein. Da er nun solange gewartet hatte, beschloss er auch den nächsten noch abzuwarten. Aber auch diesmal, keine Julia. Schließlich gab er auf. Julia kam nicht. Sie hatte ihn einfach vergessen. Vielleicht hatte sie etwas Besseres vor.
Steht da wie ein Depp. Die Blumen sind bereits welk. Er wirft sie in einen Mülleimer. Es dauert ewig, bis endlich eine Straßenbahn in seine Richtung kommt. Aber eine Stunde später schließt er endlich die Tür zu seiner Wohnung auf. Am Spiegel im Flur klemmt ein großer handgeschriebener Zettel. Julia, Hauptbahnhof, Achtundzwanzigster, Dreizehn Uhr dreißig. Verfluchter Mist, sie kommt ja erst Morgen. Und er hat den Blumenstrauß schon weggeworfen. Juli
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