Donnerstag, 19. Juni 2008
19. Juni - Lilien
Lilien – grün und weiß. Wachsen wo? In der Nähe von Gewässern vielleicht. Als altes Stadtkind kenne ich die meisten Blumen, Pflanzen, Obstsorten nur aus Geschäften. Geordnet, genormt, ins beste Licht gerückt. Weiße Lilie – Trauerblume. Warum eigentlich? Wächst sie nicht genauso wie die Rose, die Tulpe oder das Gänseblümchen aus der Erde mit Sonnenschein, Wasser und Mineralien als Nahrung? Sommer, wenn die Straßen staubig werden und die Hitze mich zur Langsamkeit zwingt. Dann säße ich gerne im Kelch einer Lilie, leicht beschattet, ein paar Wassertropfen perlen an der glatten Blütenhaut. Über mir nichts als Himmel und Wolken und ab und zu eine brummende Hummel, die Blütenstaub von Blüte zu Blüte trägt. Also ehrlich, falls Lilien durch Hummeln bestäubt werden. Natur ist mir so fern, darum kann ich auch gefahrlos davon träumen inmitten von ihr zu entspannen. Juni

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Mittwoch, 18. Juni 2008
18. Juni - Malbuch
„Kann ich helfen?“ Julia beugt sich über das kleine Mädchen, das am Boden sitzt und in einem Malbuch herumkritzelt. Ein unbezahltes Malbuch, mitten im Laden, auf dem Fußboden, die Stifte stammen auch von hier und sind genausowenig bezahlt.

„Wo ist denn Deine Mutti?“ Julia versucht freundlich zu bleiben. Das Kind kann doch nichts dafür. Aber wo sind die Eltern? Julia schaut suchend über die Verkaufstische und Displays. Niemand zu sehen. Die Buchhandlung ist plötzlich wie leergefegt. „Wie heißt Du denn?“ Das Kind sagt kein Wort, schaut Julia nur mit großen Augen an, bevor es sich wieder über das Malbuch beugt und ungeschickt den Himmel knallrot anmalt. Das gibt es doch nicht. Wer lässt denn einfach sein Kind hier zurück? Die Kleine ist höchstens Drei. „Den Himmel musst Du aber blau machen!“ Wieder schaut das Mädchen mit großen Augen zu Julia hoch, blickt sie kurz mit einem strahlenden Lächeln an und kritzelt weiter einen blutroten Himmel über einem noch unausgemalten Kinderkarusell. In einer halben Stunde schließt Julia den Laden. Bis dahin muss das Kind verschwunden sein. Unruhig geht sie im Laden auf und ab, schaut in jede Ecke, sogar unter die Verkaufstische. Vielleicht ist die Mutter ohnmächtig geworden und liegt jetzt unter den aufgestapelten Aktionswaren. Aber nein, niemand da. Es ist wie verhext. Kein einziger Kunde betritt mehr die Buchhandlung.

Julia steht an der Tür und schaut die Straße entlang. Irgendwo muss doch die Mutter sein. Julia sieht aber nur die alte Schawitzki von gegenüber mit ihrem Hund Poldi Gassi gehen. Ein paar Jugendliche drücken sich an der Ecke vor der Spielhalle herum. Niemand weit und breit, der zu dem Kind gehören könnte. Eigentlich müsste Julia jetzt nach Hause, aber was macht sie dann mit dem Kind? Vermutlich sollte sie die Polizei rufen. Sie schließt von innen die Tür ab, geht zum Telefon. Die Kleine malt immer noch. Die Sonne in ihrem tiefroten Himmel ist schwarz. Das ist doch sicher kein gutes Zeichen, wenn das Kind den Himmel blutrot malt und die Sonne schwarz. Natürlich, Julia ist keine Psychologin, aber das hat sie ja schon oft genug im Fernsehen gesehen. Wahrscheinlich wird die Kleine misshandelt. Julia wählt Eins Eins Null. Freizeichen. In dem Moment schaut die Kleine wieder zu ihr hoch und sagt: „Mama!“ Julia zuckt zusammen. Das arme Kind. Sie kann sie doch nicht einfach der Polizei ausliefern. Sie legt auf. „Gut, dann nehme ich Dich eben mit!“, sagt sie zu dem Mädchen. Juni

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Dienstag, 17. Juni 2008
17. Juni - Fluch der Biologie
„Das sind doch alles nur die Hormone!“ Das war der Standardspruch meiner Mutter, wenn sich einer aufregte, wütend war, fluchte, weinte oder sich sonstwie gefühlig benahm.

Natürlich klar, die Hormone! Wollte ich nie haben, fand ich überflüssig. Aber Heulen und Trotzen und Wüten und Fluchen, das fand ich richtig gut. Warum ich dazu gleich Hormone brauchte, konnte ich nie verstehen.

Auch als dann das mit der Liebe anfing. Süße Jungs im Freibad bewarf ich immer mit nassen Papierkugeln oder Grassoden, manchmal auch mit Kies. „Das sind die Hormone“, sagte meine Mutter, als mir der Platzwart deswegen Hausverbot erteilte. Dieser Sommer war echt beschissen, da saß ich nun mit meinen Hormonen vorm Zaun und hörte die anderen Kinder kreischen und planschen. Und dann der Geruch nach Pommes und Chlor, der durch die gedrahteten Rauten waberte. Alles ohne mich. Das war der heißeste Sommer meiner Kindheit. Völlig ohne Abkühlung, und das verdankte ich nur den berühmten Hormonen meiner Mutter.

Später dann fuhr ich das Moped meines Bruders gegen das Garagentor. Das waren selbstverständlich auch die Hormone. Diesmal machten sie also Beulen in Metall. Ich selbst bekam nur ein paar Schrammen ab und blaue Flecke, von den Schlägen meines Bruders, als er den Schaden bemerkte. Die Hormone ließen seine Fäuste zu großen Keulen wachsen, die auf meinen Oberarmen und meinem Rücken trommelten. Ich weinte aber nicht sondern trat ihm gegens Schienbein. Das war ein akzeptabler Ausdruck meiner hormonellen Steuerung.

Mutter schüttelte nur den Kopf. Ihre Hormonproduktion war längst eingestellt, diesen Dauerstress könne doch kein Pferd länger aushalten. „Bei solchen Kindern“, sagte sie immer, „kommt frau doch gern in die Wechseljahre!“

Inzwischen bin ich erwachsen. Da hat sich vieles geändert. Meine Tochter zum Beispiel hält gar nichts von Hormonen, die ist eine Verfechterin der Genetik. Immer wenn sie mal wieder Mist baut, sagt sie: „Das sind alles Deine schlechten Gene, Mama! Ich kann nichts dafür.“ Juni

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