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Sonntag, 22. Juni 2008
22. Juni - Juckreiz
365und1tag, 03:27h
Das fing alles mit so einem unangenehmen Juckreiz an, hinter den Ohren, an den Fußsohlen. Christiane versuchte es zunächst mit allerlei Salben, aber nichts nützte. Ob das wieder die Schuppenflechte war?
Dabei hatte sie doch längst ihre Ernährung umgestellt, es gab nichts Scharfes, keine Zitrusfrüchte und überhaupt – so gesund wie sie konnte kaum einer leben. Christiane rauchte nicht, trank nicht, nahm keine Tabletten, noch nicht einmal gegen Kopfschmerzen, sie aß nur Fleisch von glücklichen Tieren und davon wenig, sie griff nur zu Bio-Gemüse und Bio-Obst. Und diese Umstellung hatte ihr in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Rückfall beschert. Warum also juckte es jetzt? Hatte sie vielleicht zu viel Stress?
Aber nein, ihr ging es gut, ihre Arbeit erfüllte sie – Christiane arbeitete als Floristin – und auch sonst war alles in Ordnung. Ihr Freund war wie immer. Mit der Familie alles in Ordnung. Sogar die Katze war gesund und munter. Vielleicht hatte sie zuwenig Stress. Fühlte sie sich vielleicht unterfordert, unausgelastet? Sie hatte schon einmal davon gelesen, dass es Leute gab, die einen Burn-Out bekamen, weil sie zu wenig Arbeit hatten oder sie zuwenig geachtet und respektiert wurden. Aber auch das traf nicht auf Christiane zu. Merkwürdig.
Also ging Christiane zu ihrer Heilpraktikerin und die verschrieb ihr ein Mittel. Danach juckte es auch in den Kniekehlen und in den Ellenbeugen. Zuerst dachte Christiane, das sei die Anfangsverschlimmerung. Aber dann juckte es auch im Nacken, unter den Achseln und im Schritt. Das war doch nicht normal. Morgens beim Meditieren konnte sie sich oft sehr schwer auf ihren Atem konzentrieren. Das Jucken war einfach unerträglich und noch unerträglicher war es, dass sie einfach nicht wusste, warum ihr das widerfuhr. Sie ging wieder zu ihrer Heilpraktikerin, die ließ sich alles genau erzählen, schaute sich die juckenden Stellen an, wiegte den Kopf etwas hin und her, schließlich verschrieb sie Christiane ein anderes Mittel. Danach juckte es auch am Rücken, das ganze Rückgrat entlang. Christiane glaubte an keine Anfangsverschlimmerung mehr.
Am Abend, als sie langsam zur Ruhe kam und zu Bett gehen wollte, spürte sie den Juckreiz so stark, dass sie das erste Mal in ihrem Leben zwei große Gläser Rotwein trank, um sich zu betäuben. Schwer wie ein Spelzensack fiel sie ins Bett und schlief sofort ein. Sie merkte nicht, wie sie sich im Schlaf kratzte und wand und scheuerte.
Am nächsten Morgen schlug Christiane die Augen auf und sah goldenes Sonnenlicht durch ihr Fenster fallen. Die Amseln sangen im Duett und ein kleiner Zaunkönigin rief sein lautstarkes Tschilp dazwischen. Christiane räkelte und streckte sich wohlig. Dann erst merkte sie: Das Jucken war fort. Einfach verschwunden. Mit Schwung sprang sie aus dem Bett und verfing sich mit den Füßen fast in einem knisternden, nicht ganz durchsichtigen Gewebe. Vorsichtig hob sie es auf. Es sah beinahe aus wie ein Maleranzug aus Papier, an den Gelenken, am Hals, im Schritt und am Rückgrat aufgescheuert, aufgeplatzt. Es fühlte sich merkwürdig an, pergamentartig. Sie hielt den Anzug mit spitzen Fingern einen Armlänge von sich weg. Und plötzlich wurde ihr klar, was sie da in der Hand hielt. Christiane hatte sich gehäutet. Sie war tatsächlich aus der Haut gefahren.
Christiane schaute in den Spiegel. Ihr kam es so vor, als sei sie ein paar Zentimeter gewachsen. Die Hosen ihres Pyjamas endeten plötzlich deutlich über ihren Fußknöcheln. Auch die Ärmel des Oberteils waren zu kurz. Dann schaute Christiane genauer hin. Die Haut an ihrem Körper sah rosig und frisch aus. Keinerlei Kratzspuren oder trockene Stellen mehr. Sie lächelte sich zu. Dann nahm sie ihre alte Haut, faltete sie ordentlich zusammen und legte sie in ihren Schrank. Vielleicht wäre es einiges Tages nützlich zu wissen, wie oft sie sich gehäutet hatte. Juni
Dabei hatte sie doch längst ihre Ernährung umgestellt, es gab nichts Scharfes, keine Zitrusfrüchte und überhaupt – so gesund wie sie konnte kaum einer leben. Christiane rauchte nicht, trank nicht, nahm keine Tabletten, noch nicht einmal gegen Kopfschmerzen, sie aß nur Fleisch von glücklichen Tieren und davon wenig, sie griff nur zu Bio-Gemüse und Bio-Obst. Und diese Umstellung hatte ihr in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Rückfall beschert. Warum also juckte es jetzt? Hatte sie vielleicht zu viel Stress?
Aber nein, ihr ging es gut, ihre Arbeit erfüllte sie – Christiane arbeitete als Floristin – und auch sonst war alles in Ordnung. Ihr Freund war wie immer. Mit der Familie alles in Ordnung. Sogar die Katze war gesund und munter. Vielleicht hatte sie zuwenig Stress. Fühlte sie sich vielleicht unterfordert, unausgelastet? Sie hatte schon einmal davon gelesen, dass es Leute gab, die einen Burn-Out bekamen, weil sie zu wenig Arbeit hatten oder sie zuwenig geachtet und respektiert wurden. Aber auch das traf nicht auf Christiane zu. Merkwürdig.
Also ging Christiane zu ihrer Heilpraktikerin und die verschrieb ihr ein Mittel. Danach juckte es auch in den Kniekehlen und in den Ellenbeugen. Zuerst dachte Christiane, das sei die Anfangsverschlimmerung. Aber dann juckte es auch im Nacken, unter den Achseln und im Schritt. Das war doch nicht normal. Morgens beim Meditieren konnte sie sich oft sehr schwer auf ihren Atem konzentrieren. Das Jucken war einfach unerträglich und noch unerträglicher war es, dass sie einfach nicht wusste, warum ihr das widerfuhr. Sie ging wieder zu ihrer Heilpraktikerin, die ließ sich alles genau erzählen, schaute sich die juckenden Stellen an, wiegte den Kopf etwas hin und her, schließlich verschrieb sie Christiane ein anderes Mittel. Danach juckte es auch am Rücken, das ganze Rückgrat entlang. Christiane glaubte an keine Anfangsverschlimmerung mehr.
Am Abend, als sie langsam zur Ruhe kam und zu Bett gehen wollte, spürte sie den Juckreiz so stark, dass sie das erste Mal in ihrem Leben zwei große Gläser Rotwein trank, um sich zu betäuben. Schwer wie ein Spelzensack fiel sie ins Bett und schlief sofort ein. Sie merkte nicht, wie sie sich im Schlaf kratzte und wand und scheuerte.
Am nächsten Morgen schlug Christiane die Augen auf und sah goldenes Sonnenlicht durch ihr Fenster fallen. Die Amseln sangen im Duett und ein kleiner Zaunkönigin rief sein lautstarkes Tschilp dazwischen. Christiane räkelte und streckte sich wohlig. Dann erst merkte sie: Das Jucken war fort. Einfach verschwunden. Mit Schwung sprang sie aus dem Bett und verfing sich mit den Füßen fast in einem knisternden, nicht ganz durchsichtigen Gewebe. Vorsichtig hob sie es auf. Es sah beinahe aus wie ein Maleranzug aus Papier, an den Gelenken, am Hals, im Schritt und am Rückgrat aufgescheuert, aufgeplatzt. Es fühlte sich merkwürdig an, pergamentartig. Sie hielt den Anzug mit spitzen Fingern einen Armlänge von sich weg. Und plötzlich wurde ihr klar, was sie da in der Hand hielt. Christiane hatte sich gehäutet. Sie war tatsächlich aus der Haut gefahren.
Christiane schaute in den Spiegel. Ihr kam es so vor, als sei sie ein paar Zentimeter gewachsen. Die Hosen ihres Pyjamas endeten plötzlich deutlich über ihren Fußknöcheln. Auch die Ärmel des Oberteils waren zu kurz. Dann schaute Christiane genauer hin. Die Haut an ihrem Körper sah rosig und frisch aus. Keinerlei Kratzspuren oder trockene Stellen mehr. Sie lächelte sich zu. Dann nahm sie ihre alte Haut, faltete sie ordentlich zusammen und legte sie in ihren Schrank. Vielleicht wäre es einiges Tages nützlich zu wissen, wie oft sie sich gehäutet hatte. Juni
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