Dienstag, 27. Mai 2008
22. Mai - Sabine fällt aus allen Wolken
Liebe Stella!
Du musst seherische Fähigkeiten haben! Tatsächlich, der liebe Dieter hat eine Silke, schon seit acht Monaten. Ist das zu fassen? Vor allem, was die an ihm findet. Ich habe ihn geheiratet als er noch wie ein Adonis aussah. Aber schau ihn doch mal jetzt an! Wahrscheinlich hat diese Silke einen Vaterkomplex. Sie ist erst 27! Ja, ja, Du denkst jetzt bestimmt, als ob dieses eine Jahr Altersunterschied etwas ausmachte. Nun gut. Aber dann bedenke bitte, dass Dieter fünf Jahre älter ist als ich. Das sind dann also 6 Jahre mehr, die ihn von seiner Silke trennen. Zu allem Überfluss ist Mark nun beleidigt, weil ich so eifersüchtig auf Dieter sei, sagt er. Aber das ist doch nur natürlich! Den jungen Leuten von heute fehlt da anscheinend die Erfahrung. Er fährt jetzt erst einmal zwei Wochen nach Nepal, um auf irgendwelche Berge zu kraxeln. Schön, schön, soll er sich ruhig den Hals brechen, während ich hier allein mit den Problemen dasitze. Jennifer heult die ganze Zeit, weil sie so gerne gehabt hätte, dass Mark bei uns einzieht, sagt sie. Das macht mir noch weniger Lust, ihn hierzubehalten. Ich sehe das schon kommen: Die Kinder ziehen zu Dieter und seiner Silke, Mark macht sich aus dem Staub wegen seiner Berge und ich stehe dann ganz allein da. Ohne Familie, ohne Liebhaber und ohne Qigong-Kurs. Ich glaube nicht, dass ich im Sommer wegfahren kann. Keine Minute kann ich dieses Flittchen aus den Augen lassen. Irgendetwas wird mir schon einfallen, um Dieter wieder auf den Pfad zur Tugend zu führen.
Wild entschlossen Deine Sabine

Wird fortgesetzt… Mai

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21. Mai - Stella hört die Flöhe husten
Liebe Sabine!
Ich möchte ja nicht sagen, hättest Du mal auf mich gehört. Aber recht geschähe es Dir. Nur eines sage ich Dir, mir kommt das spanisch vor, dass Dein Dieter so zahm ist. Da stimmt doch etwas nicht. Bist Du sicher, dass er nicht schon längst eine Freundin hat? Das wäre die einzig sinnvolle Erklärung. Es kommt ihm gelegen. Wenn nicht wegen einer Geliebten, dann aus anderen Gründen. Aber vielleicht haben wir alle Deinen Dieter auch unterschätzt und es ist ein Heiliger an ihm verloren gegangen. Nun ja, ich glaub es ja auch nicht. Komme auf jeden Fall mit nach Sardinien, das wird Dir gut tun. Es gibt auch massenweise schöne Männer, die dort am Strand rumspazieren und reich aussehenden Touristinnen den Hof machen. Das wird Dich ablenken. Wenn es nicht so profan sein soll, es gibt auch eine Menge Kultur zu begucken oder belege einen Bildhauerkurs. Die Leitung hat da allerdings eine Frau. Aber das ist vielleicht ganz gut so. Also meine Liebe, mir pressiert’s. Halte mich auf dem Laufenden und die Ohren steif.
Herzlich Deine Stella

Wird fortgesetzt… Mai

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20. Mai – Sabine macht mal wieder, was sie will und nicht soll
Liebe Stella,
vielen Dank für Deine Nachricht. Leider kam sie zu spät. Es stimmt, Dein Vorschlag hatte viel Schönes, aber Du weißt wie sehr ich Heimlichkeiten hasse. Nun ist es also passiert. Ich habe Dieter alles gebeichtet. Und Du wirst es nicht glauben, ich bin aus allen Wolken gefallen. Anstatt – wie ich erwartet hatte – wutschnaubend nach der Adresse von diesem Mark zu fragen, um ihn zu verprügeln, war er völlig lammfromm. Sagte tatsächlich, er wäre ja auch seit längerem mit der Gesamtsituation unzufrieden. Und wenn ich mich trennen wolle, hätte er nichts dagegen. Der Qigong-Lehrer könne auch ruhig hier einziehen, er nähme dann die Einliegerwohnung. Das wäre sicherlich das Beste für die Kinder. Hast Du soetwas schonmal gehört? Ist der Mann verrückt geworden, sind ihm die Eier abgefallen? Stella, entschuldigen diesen Ausdruck, aber mir fehlten wirklich die Worte. Kein bisschen Kampf von seiner Seite, lässt mich einfach ziehen. Dann sagt er noch, er schaue sich dann auch nach etwas Frischem um. Das ist ja wohl die Höhe. Als sei ich nicht mehr frisch. Dieser alte Esel, kaum noch ein Haar auf dem Kopf, seit Jahren nur noch Bierstemmen trainiert und dann sowas! Ich war dann so sauer, dass ich Mark für das nächste Wochenende zum Probewohnen eingeladen habe. Die Kinder sollten ihn ja auch kennenlernen. Und liebe Stella, Du hattest völlig Recht. Hätte ich nur geschwiegen und genossen. Jetzt habe ich den Salat. Jennifer himmelt Mark an. Nun ja, sie ist ja auch nur 12 Jahre jünger als er, da kann das schonmal vorkommen. Zum Glück steht Mark nicht auf so junges Gemüse. Sagt er jedenfalls. Und sogar Tom kann Mark prima leiden. Sie haben sich mindesten für 4 Stunden in sein Zimmer verzogen um irgendein Computerspiel zu zocken. Also ehrlich, ich wollte nicht drei Kinder haben. Jetzt bin ich mit der Gesamtsituation unzufrieden. Und wenn der Sex nicht so sensationell wäre, dann hätte ich diesen Mark wohl längst rausgeworfen. Und Dieter ist immer noch ganz zahm. Das muss doch ein Trick sein. Bitte Gott gib, dass mein Mann nicht ein solcher Schlappschwanz ist! Du siehst, ich habe mich ordentlich in die Sch… geritten. Vielleicht nehme ich Dein Angebot an und lasse mir die Sonne in Sardinien auf den Pelz brennen. Ein bisschen Abstand tut sicherlich gut.
Schön zu hören, dass bei Dir alles beim Alten ist. Wir können dann ja in Ruhe quatschen, wenn wir uns im Sommer persönlich treffen.
Liebe Grüße Deine Sabine

Wird fortgesetzt… Mai

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19. Mai – Stella erteilt bereitwillig Ratschläge
Liebe Sabine!
Bist Du denn von allen guten Geistern verlassen? Was redest Du denn für einen Unsinn? Hast Du denn noch nie von Genießen und Schweigen gehört? Na also. Meine Liebe, fälle keine übereilten Entscheidungen. Viel besser wäre es, Du achtest darauf, dass Dein Dieter nichts erfährt und dass Dein Mark die Füße still hält. Was Männer seit Millionen von Jahren mit Sekretärinnen machen, wirst Du ja wohl mit einem Qigong-Lehrer hinbekommen. Was ist denn das überhaupt wieder für ein Unsinn? Kannst Du nicht Yoga machen wie jede? Nun ja, Sabine. Ich weiß ja, dass es bei Dir immer schon besonders sein musste. Wenn alle Jeans trugen, dann mussten es für Dich Cordhosen sein. Wenn alle Frauen sich wild in die Karriere stürzen, da heiratetest Du Dieter und bekamst zwei Kinder. Sehr reizende Kinder, aber Du hättest sie etwas besser erziehen können. Jennifer hat mir immer noch nicht für mein Patengeschenk gedankt. Nun ja, genug davon. Bei mir ist alles beim Alten. Im Augenblicke denke ich nicht daran, meinen Lebensgefährten zu wechseln. Meine Projekte werfen ordentlich Profit ab und ich werde wohl für einen Monat Sommerpause in meinem Haus auf Sardinien machen. Wenn Du nicht weiter weißt, dann komm doch einfach mit. Für Dich habe ich immer ein Zimmer frei. Den Flug kann ich Dir auch bezahlen. Also keine falsche Scheu. Wofür arbeite ich sonst? Und wirklich, Sabine. Sag bloß Dieter nichts davon. So lange schläfst Du doch noch nicht mit dem Burschen. Das sind nur die Hormone, die da aufwallen. Also, sei besonnen und ruinier Dir nicht die Ehe. Auch wenn es zu den paar Höhen viele Tiefen gab, es ist doch schön, wenn Du jemanden hast, zu dem Du nach Hause kommen kannst und weißt, was Dich erwartet. Wir werden ja auch nicht jünger. Vergiß das nicht.
Herzlich Deine Stella

Wird fortgesetzt… Mai

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18. Mai - Sabine bittet Stella um Rat
Liebe Stella!
Entschuldige bitte, dass ich Dir erst jetzt schreibe. Aber ich hatte sehr viel um die Ohren. Vielleicht ist es Dir auch schon einmal so ergangen. Kaum ist frau knapp 20 Jahre verheiratet, hat sie manchmal das Gefühl, es könnte auch noch etwas Besseres geben. Und sagt man nicht auch so: Aufhören, wenn es am schönsten ist. Na, den Tag habe ich wahrscheinlich schon verpasst. Du kennst ja Dieter. Nun zur Sache. Ich konnte Dir nicht schreiben, weil ich mich verliebt habe. Da denkst Du jetzt wahrscheinlich. Ui, so ein altes Reff und verliebt sich noch einmal. Nun ja, es ist eben Frühling, wirst Du denken, da können so Flirren schonmal aufkommen. Denkst Du denn liebe Stella, ich hätte mir derlei Vorhaltungen nicht schon selbst zur Genüge gemacht? Eben. Es hat nur nichts genützt. Ich habe mich einfach verliebt. Zuerst wies ich mich selbst zurecht, ich olle Frau, zwei Kinder, Mann und Katze zu Hause und verknallt sich dann in ihren - übrigens toll gebauten und auch gar nicht dummen - Qigong-Lehrer. Vor allem sind ja bestimmt alle Weiber in dem Kurs in den Burschen verknallt, dachte ich mir, so wie der ausschaut und wie der nett ist. So zuvorkommend und einfühlsam irgendwie. Aber dann ist was merkwürdiges passiert. Die ganze Qigong-Gruppe hat sich an Pfingsten zum Grillen verabredet und da kam er natürlich auch. Und als es dann schon langsam Abend wurde, ich hatte gerade gar nicht an den Qigong-Lehrer gedacht, der heißt übrigens Mark, also nein, ich überlegte gerade, ob Dieter wohl auch daran denken wird Jennifer aus der Disco abzuholen, wie wir es besprochen hatten, und ob ich ihn besser nochmal anrufe, da setzte sich Mark neben mich, mit einem Glas Erdbeerbowle für mich in der Hand. Er fragte mich, was ich beruflich mache, und so kamen wir ins Gespräch. Und schließlich, nach dem zweiten Glas Bowle rückte er damit raus, dass er mich sehr gut leiden könne. Wow, Stella, da war ich baff. Der Junge ist gerade mal 28! Ob der wohl einen Mutterkomplex hat, habe ich dann vermutet. Aber ich war ja nun selbst rettungslos in ihn verschossen. Da fiel es mir natürlich schwer einen klaren Kopf zu behalten. Er ist auch einfach zu niedlich mit seinem Grübchen im Kinn und den dunklen Haaren. Immerhin hat er noch Haare! Du kennst ja Dieter. Es kam also wie es kommen musste. Und jetzt will Mark mit mir zusammenziehen. Ich würde ja schon gerne. Du erinnerst Dich sicher, wie das ist in der ersten Verliebtheit, da erscheint ja alles möglich und rosarot. Nur, was wird Dieter dazu sagen und die Kinder? Will ich fast 20 Jahre Ehe wirklich einfach hinschmeißen wegen einem Qigong-Lehrer? Ach, liebe Stella, was würdest Du tun. Bitte antworte mir schnell.
Deine völlig verrückt gewordene Sabine

wird fortgesetzt... Mai

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17. Mai - Kindheitserinnerung
Als ich noch ein Kind war, gab es am Kiosk Negertaler, das war Lakritz in Form von Geldstücken. Lakritz ist ja so ziemlich aus der Mode gekommen. Damals gab es die noch in allen möglichen Formen, als Lakritzstange, gefüllt und ungefüllt, Salinos, Katinchen, Lakritzschnecken, Lakritzbonbons, Lakritz in Form von allerhand Getier mit Salz- oder mit Zuckerüberzug. Letztens habe ich in der Metro gesehen, dass die Negertaler von einst heute Schwarzgeld heißen. Aber wahrscheinlich denkt die Marketingabteilung des Herstellers inzwischen über eine erneute Namensänderung nach – seit Liechtenstein, seit Zumwinkel ist auch Schwarzgeld kein politisch korrekter Begriff mehr. Mai

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16. Mai - Auf der Suche nach dem ICH
„Von Natur aus gehörst Du auf jeden Fall zu den Einfältigen! Das sieht ein jeder“, der Professor zog mir am Ohr und schaute mit seinem Apparat hinein. „Mmh, mmh“, sagte er dann. „Es ist auch eindeutig, dass da eine Spur, aber nur eine Spur, Weisheit und Güte zu finden ist. Tja, interessante Mischung.“ Er ließ mich den Mund öffnen und „Ahhh“ sagen. Der Holzspatel fühlte sich merkwürdig rauh auf meiner Zunge an. Dann warf der Professor den Spatel in den Müll und tastete meinen Hals ab. „Mmh, mmh“, hörte ich ihn nur noch in sich hineinbrummen. Also fasste ich mich in Geduld. Irgendwann würde er sicher zu einem Ergebnis kommen und ich wüsste endlich, wer ich wirklich bin. Schon lange versuchte ich diese Frage zu beantworten. Ich hatte in meinen Personalausweis gesehen, ich hatte meine Eltern gefragt, meine Geschwister und meine Freunde, schließlich sogar meine Feinde. Danach war ich so ratlos wie nie zuvor. Mein Vater sagte, ich sei eine verzogene Göre, der er rechtzeitig Zucht und Ordnung beigebracht hätte, wenn er mal zu Hause gewesen wäre. Meine Mutter meinte, ich sei ein liebes Mädchen, das ein wenig zu sehr im Wolkenkuckucksheim schwebe, aber sonst sehr umgänglich und hilfsbereit. Mein Bruder sagte, ich sei eine elende Nervensäge gewesen, solange wir noch Kinder waren. Aber inzwischen könne er mich gut leiden. Meine Schwester habe mich gehasst, weil ich so ein Chaot sei, nie könne ich Ordnung halten, auf meinem Schreibtisch hätten sich immer die Schulsachen und Bücher und Schreibpapiere gestapelt. Aber auch sie könne mich inzwischen gut leiden. Meine Freunde sagten, ich sei eine gute Zuhörerin und immer für sie da. Meine Feinde sagten, ich sei eine blöde Ziege, die arrogant und unfreundlich sei und nicht bis Drei zählen könne. Und ich selbst? Tja, ich schaute mir selbst zu, war mal blöde Ziege, mal gute Zuhörerin, Chaotin, Nervensäge, liebes Mädchen, verzogene Göre und noch tausenderlei mehr. Was davon war nun das berühmte ICH, von dem immer alle sprachen. So kam ich auf die Idee, einen Professor zu fragen. Der müsse soetwas ja wissen, dachte ich mir. Und deshalb stand ich jetzt frierend in meiner Unterwäsche und harrte der Beurteilung durch „Mmh, mmh“-Professor Bartelberg. Der war mit seiner Untersuchung inzwischen am Ende angelangt und schnarrte: „Du kannst Dich wieder anziehen.“ Als ich aus der Kabine zurückkehrte war der Professor verschwunden. Nur sein Assisstent wartete noch auf mich. Was denn nun mit dem Ergebnis sei, fragte ich. „Wird zugeschickt“, kam es lapidar zurück. Und nun warte ich. Vielleicht rufe ich inzwischen die Auskunft an. Vielleicht wissen die ja, wer ich bin. Mai

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15. Mai - Ein Lied
Wenn ich ein Lied schreiben müsste, handelte es von - wow, das ist gar nicht so einfach. Ich weiß nur, wovon es garantiert nicht handeln wird: Von der ewigen Liebe zwischen Mann und Frau (oder Frau und Frau, Mann und Mann). Könnt Ihr das ehrlich noch sehen und hören. Immer dieses Geseiere und Gewimmere: Oh, sie liebt mich nicht, uh, sie liebt mich doch. Ich gehöre zu dir oder du zu mir und überhaupt: Ist das die einzige verdammte Erfüllung im Leben, außer vielleicht noch Einkaufen und Nachlesen, wie man ihn/sie glücklich macht. Hallo, Gehirnwäsche! Wenn ich ein Lied schriebe, dann handelte es davon, dass es viele Wege gibt glücklich zu sein. Wenn ich ein Lied schriebe, dann handelte es von Aufbruch und Hoffnung, von dem Abenteuer das GANZE Leben zu erfahren und in sich aufzunehmen. Es handelte schlicht und ergreifend davon, wie schön es ist am Leben zu sein. - Oh, das gibt's schon... Mai

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14. Mai – Mathilde schnarcht ein wenig
Mortimer stellte den Fernseher lauter. Dieses lärmende Geschnarche von Mathilde war nicht mehr zu ertragen. Jetzt grunzte sie laut, drehte sich um und schnorrte in einer anderen Tonart. Beim Einatmen pfiff es so merkwürdig. Kein Lautsprecher der Welt würde dieses unerträgliche Geräusch aus Mathildes Rachen übertönen. Mortimer stöhnte. Er hatte es mit Stupsen versucht. Der Erfolg war Mathildes Wechsel in die Rückenlage und lautes Bärenschnarchen. Dann war ihm beim Besprengen der Braunlilien ganz aus Versehen etwas Wasser aus der Blumenspritze in Mathildes Richtung entglitten. Sie drehte sich auf den Bauch. Das Schnarchen klang danach wie unterirdisches Donnergrollen. Dann der Fernseher. Mortimer konnte kein Wort verstehen, aber Mathilde drehte sich wieder und schnarchte einfach weiter. Was sollte er noch versuchen? Also gut, er schaltete den Fernseher ab. Er schloß die Tür zum Wohnzimmer, durchquerte das ganze Haus. Am entlegensten Ende des Flures lag sein Arbeitszimmer. Er ging hinein, schloß sorgfältig die Tür. Mathilde schnarchte. Eindeutig. Vielleicht übertönte das Lüftergeräusch des Rechners endlich dieses fürchterliche Schnarchen. Aber nein, der Computer war ein ganz neues, flüsterleises Modell und somit völlig ungeeignet Mathildes Geräuschpegel zu übertönen. Dann half nur Musik. Er legte Beethoven auf, Eroica. Zumindest die lauten Passagen übertönten das Schnarchen am anderen Ende des Flures. Mortimer atmete tief ein. Ruhe senkte sich in sein Herz. Mit einem lauten Krachen flog die Zimmertür auf. „Musst Du so einen Lärm machen? Da kann ja kein Mensch schlafen. Nie lässt Du mich in Ruhe mein Mittagsschläfchen halten!“ füllte Mathilde drohend den Türrahmen. „Mein Liebes! Tut mir leid, wenn ich Dich gestört habe. Ich mach’ schon leise.“ Er drehte am Regler . Mathilde knurrte nur und wankte hinaus in Richtung Küche, den Teekessel aufsetzen. Verdrießlich schaute Mortimer aus dem Fenster. Immerhin war es jetzt wieder angenehm ruhig. Vielleicht würde er sich Morgen trauen, Mathilde auf ihr Schnarchen anzusprechen. Er betrachtete seine Fingerspitzen. Darauf wetten würde er allerdings nicht. Mai

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13. Mai – Georg und seine Hanni
Georg saß wie jeden Morgen am Frühstückstisch und las Zeitung. Er schlürfte an seinem Kaffee, wartete auf seinen Toast. Und wartete, und wartete. „Hanni, Hanni!“, rief er schließlich in Richtung Küche. „Wo bleibst Du denn?“ Aber nichts keine Antwort. Das kam Georg nun aber doch merkwürdig vor. Umständlich faltete er seine Zeitung wieder zusammen, legte sie neben seinen Teller und strich sie noch einmal glatt. „Hanni!“, rief er noch einmal laut. Vielleicht ließ sich die Anstrengung des Aufstehens ja doch noch vermeiden. Aber nein. Nichts zu hören, weder aus der Küche noch sonst irgendwoher aus dem Haus. Es war in der Tat verdächtig ruhig. Also wuchtete sich Georg mühsam aus seinem Stuhl und ging in die Küche. Leer. Niemand da. Auch der Toaster war nicht eingeschaltet. Also wirklich. Dann vielleicht im Bad. Georg öffnete die Tür. Nichts. „Hanni!“ Weiter ins Schlafzimmer. Die Betten waren ordentlich gemacht und leer. Georg schaute auch hinter die Tür. Nein, auch hier keine Hanni. Bügelzimmer. Fehlanzeige. Keller. Georg machte nur die Tür auf und rief hinunter. Da kein Licht eingeschaltet war, konnte Hanni ja schlecht dort unten sein. Hatte er irgendetwas vergessen. Musste Hanni vielleicht heute zum Arzt? Georg ging rüber in die Garage. Das Auto war aber noch da. Merkwürdig. Wo war denn Hanni bloß. Das gab es doch nicht. Seine Frau konnte doch nicht einfach so verschwinden. Schließlich ging Georg wieder ins Esszimmer. Irgendwann musste Hanni ja wiederkommen. So saß er da, ab und zu strich er seine Zeitung noch einmal glatt und schaute auf die Uhr. Kurz nach Zwölf klingelte es an der Tür. Georg öffnete. Eine junge Frau stand dort, sie hatte einen Kasten aus geschäumten Kunststoff in der Hand. Freundlich lächelnd drängte sie sich an Georg vorbei. „Hallo, Herr Schneider! Wie geht’s Ihnen denn heute?“ Die Frau ging durch den Flur ins Esszimmer, stellte den geschäumten Kasten auf den Tisch, öffnete ihn und holte eine Aluminiumschale heraus. „Oh, heiß! Passen Sie dann auf beim Essen, gell!“ Die Frau packte den Kasten unter den Arm und ging wieder hinaus in den Flur, an Georg vorbei, der ihr verwirrt nachblickte. Dann schlug die Tür zu und Georg war wieder allein. Er setzte sich. Ach, Hanni hatte ihm ein Fertiggericht gemacht. Sie musste heute bestimmt in die Klinik. Das war’s. Genau. Er zog den Aluminiumdeckel von der Schale. Vorsichtig, die Schale war heiß. Das roch gut, natürlich nicht so gut, wie das Essen, das Hanni selbst kochte. Georg begann zu essen. Nachher, wenn Hanni wieder kam, würden sie gemeinsam Kaffee trinken wie immer. Vielleicht brachte sie ein paar von den Buchteln mit, die er so mochte. Mai

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