Dienstag, 27. Mai 2008
19. Februar - Die Verhandlung - Teil 1
Zeus saß auf der Anklagebank. Er schmollte. Mit fest vor der Brust verschränkten Armen beobachtete er den Richter, der gerade den Saal betrat. GOTT nannte sich der Typ oder auch Jehova. Behauptete neuerdings der einzige wahre Gott zu sein. Ganz schön unverschämt. Zeus weigerte sich aufzustehen und schob demonstrativ die Unterlippe vor, während Stühle schurrten, Füße scharrten und Kleider raschelten. GOTT setzte sich und die Menge tat es ihm nach.
„Angeklagter“, wandte sich GOTT an Zeus, „Ihnen wird zur Last gelegt, sich der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung in mehreren, schweren Fällen schuldig gemacht zu haben. Dabei – so legen es die Aussagen der Geschädigten nahe – haben sie sich meist als Tier verkleidet, um sich Ihren Opfern unerkannt nähern zu können und ihr Vertrauen zu gewinnen.“ Zeus rutschte ein wenig auf seinem Stuhl herum und warf einen Seitenblick zu Hera, die auch anwesend war. Ihr Blick war eisig. Trotzdem stand sie zu ihrem Gatten – bis jetzt jedenfalls.

Dann erteilte GOTT Gabriel das Wort, der die Interessen der inzwischen etablierten Gottesmacht vertrat. Der verlas die Anklageschrift im Detail und zählte auf, an welchen Damen sich Zeus in welcher Form vergangen habe. Die Liste war lang. Zeus bemühte sich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck. Aber manchmal zuckte doch seine Augenbraue, besonders als die Namen Leda, Europa und Io fielen. Dann führte Gabriel sogar noch Alkmene an, der er sich in der Gestalt ihres Ehemannes Amphytrion genähert haben sollte.

Wieder warf Zeus einen verstohlenen Blick zu Hera. Hoffentlich glaubte sie den ganzen Quatsch nicht. Es war doch klar, dass ihm der ganze Kram nur angedichtet wurde. Das musste sie doch auch wissen. Ihr Blick war immer noch eisig. Eine halbe Stunde später war Gabriel endlich fertig mit der Liste seiner Anschuldigungen. Und Satan erhob sich um Zeus zu verteidigen.

Wird fortgesetzt... Februar

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18. Februar - Sing doch
Die Kneipe ist brechend voll. Die Bedienung quält sich das Tablett hoch über ihrem Kopf balancierend durch die Menschenmenge. Rockmusik scheppert aus den Lautsprechern. Die Leute schreien sich an und nehmen große Schlucke von ihren Getränken.

Ein paar Mädchen haben sich bis ganz nach vorn an die Bühne geschoben und warten sehnsüchtig auf ihre Band. Und endlich. Die Jungs springen auf die Bühne und die Mädchen kreischen hysterisch.
Nur eine Frau steht da ganz vorn und lächelt still in sich hinein. Der Typ neben ihr greift ihren Arm und glotzt auf das Ziffernblatt ihrer Armbanduhr. Angestrengt versucht er zu erkennen, wie spät es ist. Sie fragt: „Geht’s noch?“ Der Typ sagt: „Schau mal, ist es schon nach Zwölf“. Sie guckt selbst auf die Uhr und sagt: „Ja!“ Er lässt ihren Arm los. Voller Enthusiasmus schwenkt der Typ sein Bier über den Köpfen der Leute zum Takt der Musik. Alle grölen den Refrain mit, nur die Frau nicht.

Auch beim nächsten Lied singt sie nicht mit, obwohl alle Mädchen um sie herum wie verrückt auf und ab hüpfen, die Arme hochreißen und den Refrain mitbrüllen. Der Sänger schaut sie an und fordert sie mit einer Geste auf ebenfalls mitzusingen. Aber sie lacht nur.

Das lässt dem Sänger keine Ruhe. Als die nächste Band spielt sucht er die Frau. Irgendetwas in ihrem Blick, in ihrem Lachen hat ihn gereizt. Er bringt sonst jede zum Mitsingen. Was ist bloß los mit der. Schließlich findet er sie in der Menge, stellt sich hinter sie. Sie scheint ganz versunken, tanzt, hat die Augen geschlossen. Ob er sie ansprechen soll? Normalerweise hat er das nicht nötig. Plötzlich drängt ihn einer zur Seite, fasst die Frau an der Schulter. „Da bist Du ja“, kann er von ihren Lippen lesen, während sie den Arm um die Hüfte des anderen Mannes schlingt. Februar

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17. Februar - Erwachen
Eines Morgens wachte Fabian auf und sprang sofort aus seinem Bett. Es war noch dunkel draußen. Die Sonne begann gerade erst hinter dem Horizont aufzusteigen. Im Zwielicht seiner kleinen Schlafkammer wunderte er sich, dass er hellwach war.
Normalerweise stand er erst spät auf, wälzte sich nur unwillig aus dem Bett und begann missmutig den Tag. Aber heute war alles anders. Das erste Licht fiel zart durch sein Fenster und verdrängte das Grau der Schatten. Er lauschte, aber er hörte nichts, noch nicht einmal das Singen der Vögel. Es war still. Zögernd öffnete er die Tür in den Flur. Auch dort Stille. Er ging in die Küche, schaute aus dem Fenster. Nichts, keine Bewegung, kein Mensch auf der Straße. Dann öffnete er die Tür zum Schlafzimmer seiner Frau. Er hörte sie nur leise atmen. Der Wecker an ihrem Bett zeigte kurz nach fünf. Erst in einer Stunde würde er klingeln. Fabian schloss die Tür wieder und ging ins Badezimmer. Auch hier herrschte noch das Zwielicht des frühen Morgens. Fabian griff nach dem Rasierschaum und schaute in den Spiegel.

Verwundert ließ er seine Hand mit der Dose sinken. Wer war dieser Mann dort? Sollte er das sein? Woher kamen die grauen Strähnen im Haar, woher die grauen Stoppeln im Bart? Und waren seine Augen nicht strahlend blau? Nun schauten ihn graue, traurige Augen an. Wo waren die Jahre hingekommen? Wo die großen Pläne des jungen Mannes, der ihn sonst aus dem Spiegel angeschaut hatte.

Er schaute noch einmal ganz genau dieses Gesicht an. Es war fülliger geworden. Die Wangen hingen etwas hinab, auch sein Kinn war nicht mehr so markant. Plötzlich erschöpft sank er auf den Badewannenrand. Wie konnte er so plötzlich über Nacht ein anderer geworden sein? Wie lange Jahre hatte er sich selbst überhaupt nicht mehr gesehen? Einen Moment lang wollte er sich wieder in sein Bett verkriechen und diesen schrecklichen Anblick vergessen. Aber dann straffte er die Schultern. Nein, es war Zeit, dass er etwas änderte. Schnell duschte er, zog sich an. Aufs Rasieren verzichtete er. Vielleicht würde ihm ein Bart ganz gut stehen, dachte er flüchtig. Dann verließ er still die Wohnung.

Viertel nach sechs klingelte der Wecker. Sabine blinzelte unter der Bettdecke hervor, schob ihren Arm heraus und drückte die Schlummertaste. Etwas schwerfällig rollte sie sich aus dem Bett und ging in die Küche, um die Kaffeemaschine einzuschalten. Ein großer Zettel lag davor. „Bin Brötchen holen! Kuss Fabian“ Februar

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16. Februar - Schon wieder
In meinem früheren Leben war ich Uhrmachergeselle in einer kleinen Werkstatt in den Bergen. Unsere Arbeit ging immer sehr ruhig vonstatten. Mein Meister war ein wortkarger Mensch, der nichts mehr liebte als die Ruhe und Gleichmäßigkeit. Mit Bedacht und Sorgfalt erledigte er seine Arbeit und genauso lehrte er es mich. Wir sprachen nie sehr viel. Wenn ich einmal einen Fehler gemacht hatte, regte er sich niemals auf oder wurde laut. Er wies mich in ebenso ruhigem Tonfall darauf hin, wie er mich beim Mittagessen bat, ihm das Salz zu reichen. Ich liebte meine Arbeit, ich liebte mein Leben. Aber am allermeisten liebte ich meine Frau die Kathrin und unsere kleine Tochter Suse.

Und trotzdem kam ein Tag an dem ich die beiden verlassen musste, meine Heimat verlassen musste, um in einen sinnlosen Krieg zu ziehen und wegen etwas zu kämpfen, dass für irgendjemand anderen sicherlich von außerordentlicher Wichtigkeit war. Für mich war dieser Krieg nicht wichtig, trotzdem verlor ich damals mein Leben. Ich erinnere mich nicht mehr an die Schmerzen, die furchtbar gewesen sein müssen. Ich erinnere mich vor allem an dieses Gefühl von Wut, weil ich viel zu früh meinen Lieben entrissen wurde. Und ich erinnere mich daran, dass ich enttäuscht war und genervt und fast entmutigt. Schon wieder von vorn. Schon wieder von vorn. Februar

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15. Februar - Das Glück
Das Glück war sehr zerzaust und außer Atem, denn jeder wollte es fangen und erhaschen. Die Menschen wollten es locken mit fadenscheinigen Versprechungen, mit großen Worten und manche versuchten ihm sogar zu drohen. Aber für heute war es den ganzen Phrasendreschern und Glücksjägern entkommen und verschnaufte an einer Häuserecke.

Da sah es ein kleines Mädchen auf einem Mauervorsprung sitzen. Es war erst Nachmittag aber schon fast dunkel und sehr kalt. Das Mädchen saß dort ganz selbstvergessen und schaute die hell erleuchteten und festlich geschmückten Fenster und Balkone im Haus gegenüber an. Da freute sich das Glück und setzte sich still und leise zu dem Mädchen. Dem wurde ganz warm und sie lächelte leise in sich hinein. Dann sprang sie von dem Vorsprung und das Glück sprang hinterher, griff nach ihrer Hand und sie gingen beide zusammen in die Dunkelheit davon. Februar

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14. Februar - Zum Geier
Geier sind unendlich geduldige Vögel. Sie warten manchmal sehr lange darauf, dass ihnen ein Mahl bereitet wird. Lange kreisen Sie in der Luft, ganz hoch oben und spähen, wo ein Raubtier seine Beute gerissen und halbverspeist liegen gelassen hat, wo ein Tier verdurstet oder durch einen Unfall oder Krankheit gestorben ist. Dann stoßen sie hinab und beginnen ihr Festmahl. Dabei sind Geier eher gesellig und teilen mit ihren Artgenossen, mit Krähen und auch Wölfen oder Hyänen. Natürlich gibt es dabei Streit und Neid und Versuche, die anderen zu verdrängen. Vor allem wenn das Aas nur klein ist.

Geier brauchen eine Menge Platz, deshalb leben sie dort, wo Wüste oder Steppe ist oder in ausgedehnten Berglandschaften. Ihr größter Feind sind die Menschen mit ihrer Ungeduld. Denn die können einfach nicht darauf warten, dass die Geier das Aas von den Weiden holen. Stattdessen werden Tierkadaver wie hier in Deutschland fachgerecht entsorgt. Ich möchte lieber nicht wissen, was das bedeutet. Vom Geier gefressen werden ist sicherlich angenehmer.

Jedenfalls sterben die europäischen Geier langsam aus oder suchen Asyl in Afrika. Natürlich ist es für die imposanten und auffälligen Vögel mit dem kahl erscheinenden Kopf und dem Federkragen schwer durch die Kontrollen zu kommen und die Einwanderungstests zu bestehen. Trotzdem strömen die Geier in Scharen zum schwarzen Kontinent. Es gibt doch nichts Großartigeres als mit tausend anderen Geiern gemeinsam an einem Elefanten zu nagen.
Der Wahlspruch der Geier ist übrigens „Serengeti soll sterben“. Aber die meinen das gar nicht so böse, wie es klingt. Die Geier warten eben nur auf das natürliche Ende allen Seins und kümmern sich darum, dass alles wieder in den Kreislauf des Lebens überführt wird, zunächst erhalten sie mal ihr eigenes. Darin ähneln sie den Maden. Geier sehen nur besser aus. Februar

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13. Februar - Weltsicht
„Meine Güte siehst Du immer alles eindimensional“, sagte die Fliege zur Klapperschlange und warf einen koketten Blick aus ihren Facettenaugen auf das leckere Festmahl drüben zwischen dem Geröll und ein paar spärlichen Grashalmen. Die Klapperschlange aber verwahrte sich, dass ihre Sicht der Welt in irgendeiner Weise eindimensional sei, wie sich die Fliege auszudrücken beliebe. Nein, nein, die Klapperschlange könne sich durchaus auf ihre Sinne verlassen und sie sei sich ganz sicher, dass sie dieses Monster da drüben niemals hätte verschlingen können. Gleichgültig wie vieldimensional ihre Weltsicht immer sein möge und nein, sie habe auch rein gar nichts dagegen, wenn die Fliege es sich dort gemütlich mache. Die Klapperschlange rasselte ein bisschen vor lauter Aufregung. Aber die Fliege hörte sie nicht mehr. Die saß schon drüben an der Leiche des einsamen Wanderers und legte ihre Eier ab. Februar

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12. Februar - Sieben Leben
Es war einmal eine Frau, die hatte sieben Leben. Das erste Leben führte sie als Kind ihrer Eltern. Die lehrten sie, dass die Welt ein strenger Ort ist, der immer aus schwarz oder weiß, aus gut oder böse besteht.
Und da sie nicht wusste, wie sie das Schwarze und Weiße in dieser Welt vereinigen sollte, war diese für sie dornig und steinig und öde und leer.

Zur jungen Frau herangereift beschloss sie sich nun völlig auf eine Seite zu schlagen. Sie begann ihr zweites Leben und versuchte alles Schwarze aus ihrem Leben zu verbannen. Aber je mehr sie das Schwarze zu verbannen suchte, umso stärker bedrängte es sie.

Schließlich sah sie ein, dass das nicht der richtige Weg sein konnte und sie begann ihr drittes Leben. Ihr buntes Leben. In ihrem bunten Leben, da lernte die Frau, dass es soviel Abstufungen von Farben gab, dass sie alle gar nicht auf einmal wahrnehmen konnte. Und das war gut.

In ihrem vierten Leben lernte die Frau die wahre Liebe kennen und schwebte auf Wolke Sieben. Leider machte sie dann einen Fehler und vergaß über den Anderen fast sich selbst und so wurde die Welt langsam grau.

Da begann die Frau ihr fünftes Leben und lernte, dass sie selbst die Malerin ihres Lebens war und mit allen Farben malen durfte, auch mit Schwarz und Weiß und allen Abstufungen und Farben dazwischen, das entschied allein sie. Und da war die Frau das erste Mal frei.

In ihrem sechsten Leben wurde die Frau eine Meisterin und viele Schüler fanden sich ein, um von ihr zu lernen. Und die Frau lernte selbst die Demut, die dazu gehört eine Lehrerin zu sein.

In ihrem siebten Leben ließ die Frau allen Zorn fahren und alles Wollen und auch alles Geben. Sie war einfach und genoss zu sein. Februar

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11. Februar - Stille
Morgens, wenn die Sonne langsam ihre Rosenfinger über den Horizont streckt, der kühle Tau sich über alles legt und die Natur sich langsam wieder färbt, der Rasen wieder grünt, das Stroh gelb glänzt und die Feldwege bräunlich stauben. Dann herrscht einen kurzen Augenblick eine herzöffnende Stille. Dieser eine Moment, wenn die ganze Natur Atem holt, bevor sie pfeift und singt und zirpt und summt. Wunderbare, heilige Stille. Februar

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10. Februar - Nicht ohne Kopfkissen
Es war wie jede Nacht in letzter Zeit. Die Welt hob sich aus den Angeln. Es blieb ihr nur eines, sie musste fliehen. Sie rannte und rannte durch endlos scheinende, dunkle Gänge. Aber sie kam kaum voran, es fühlte sich an, als müsse sie durch eine zähe Masse waten. Sie schaute auf ihre Füße hinunter und sah nur gähnend schwarze Leere und dann fiel sie rückwärts und fiel und fiel.

Und sie wusste, irgendwann würde sie aufprallen. Sie würde entzweibrechen, ihr Rückgrat würde in tausend Stücke zerspringen, ihr Körper würde aufplatzen wie eine überreife Tomate. Sie hasste dieses Gefühl. Sie versuchte aufzuwachen, strengte sich an. Sie rief sich selbst zu: „Wach auf, wach endlich auf.“

Und dann öffnete sie die Augen. Zum Glück, sie war aufgewacht. Dann sah sie sich um. Aber warum lag sie nicht im Bett? Und dann fiel sie weiter. Der Aufprall am Boden traf sie hart, ihr Rückgrat zersprang in tausend Stücke. Die Knochen stoben wie kleine leuchtende Sternschnuppen in alle Richtungen davon. Ihr Körper zerplatzte wie eine überreife Tomate, die aus Unachtsamkeit vom Küchentisch gekullert ist. Jetzt erst erwachte sie und lag schwer atmend mit klopfendem Herzen in ihrem Bett. Angst schüttelten sie und Entsetzen.

Es dauerte eine Weile, bis sie sich soweit beruhigt hatte, dass sie aus dem Bett krabbeln konnte. Ach ja, Kopfkissen nicht vergessen. Sie klemmte sich ihr Kopfkissen unter den Arm, öffnete die Tür ihres Zimmers, schlich den langen dunklen Flur entlang, machte die Schlafzimmertür auf, schlüpfte hinein. „Mama“ Sie zupfte an der Bettdecke. Die Mutter drehte sich im Schlaf herum und knurrte. „Ich hab’ schlecht geträumt!“ Die Mutter hob die Bettdecke und rutschte ein Stück zur Bettmitte. „Kopfkissen dabei?“, murmelte sie. Das Mädchen legte ihr Kopfkissen neben das der Mutter, kroch unter die Bettdecke und schlief sofort ein. Februar

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